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Calculating...

Okay, hallo, hallo! Herzlichen Glückwunsch, echt mal! Ich bin so froh, dass du es tatsächlich geschafft hast. Ich weiß, es ist echt schwer, überhaupt erstmal auf dieser Welt zu sein. Eigentlich, ich glaub sogar, noch schwerer als du denkst.

Also, erstmal musst du dir mal vorstellen, du bist jetzt hier, und Billionen von Atomen mussten sich irgendwie zusammenraffen und dich auf so 'ne komplizierte und gleichzeitig total spezielle Weise zusammensetzen. So 'ne Anordnung, das gab's noch nie, und das wird's auch nie wieder geben. Und diese kleinen Dinger, die machen dann, hoffentlich zumindest, für die nächsten Jahre, so Milliarden Mal 'ne ziemlich ausgeklügelte Zusammenarbeit, damit du am Leben bleibst und diese ziemlich angenehme Reise, die wir so Leben nennen, möglichst gut überstehst.

Warum die Atome sich das eigentlich antun, ist mir auch nicht so ganz klar. Ist ja jetzt nicht so, dass das für die 'ne riesen Party ist, dich zu formen. Obwohl die sich so reinhängen, die Atome, aus denen du bestehst, die kümmern sich eigentlich nicht um dich. Die wissen ja nicht mal, wo du überhaupt bist. Und die wissen auch nicht, wo sie selbst sind! Sind ja schließlich nur so kleine, leblose Teilchen. (Schon 'ne komische Vorstellung, oder? Wenn du jetzt so mit 'ner Pinzette jeden einzelnen Atom aus dir rausfummeln würdest, dann wärst du irgendwann nur noch 'n Haufen Staub, lauter Atome, die nie gelebt haben, aber die mal du waren.) Aber egal, solange du lebst, haben die alle nur eine Aufgabe: Dich zu "du" zu machen.

Blöd ist halt, die Atome sind 'n bisschen launisch und ihre Hingabe ist halt auch nicht von Dauer. Echt nicht von Dauer. Selbst wenn du richtig alt wirst, lebst du nur so ungefähr 'ne Million Stunden. Und dann, irgendwann, nicht mehr allzu weit entfernt, oder halt unterwegs, beschließen deine Atome aus irgendeinem Grund, dass jetzt Schluss ist, und dann verpissen die sich und werden wieder was anderes. Das war's dann mit dir.

Aber hey, es ist passiert! Und darüber solltest du dich echt freuen! So wie's aussieht, passiert sowas sonst nirgendwo im Universum. Schon komisch, dass sich Atome so großzügig und koordiniert zusammenfinden, um hier auf der Erde Leben zu bilden, aber woanders nicht. Leben ist chemisch betrachtet eigentlich total normal, aber gleichzeitig auch total verrückt: Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, 'n bisschen Kalzium, 'n bisschen Schwefel und noch 'n paar ganz normale andere Elemente – Kram, den du in jeder Apotheke kriegst – das ist alles, was du brauchst. Das Einzige, was die Atome besonders macht, ist, dass sie dich bilden. Aber klar, das ist ja auch das Wunder des Lebens.

Obwohl Atome vielleicht woanders im Universum kein Leben bilden, bilden sie trotzdem 'ne Menge anderer Sachen. Eigentlich alles außer Leben. Ohne Atome gäb's kein Wasser, keine Luft, keine Steine, keine Sterne und Planeten, keine fernen Wolken, keine rotierenden Nebel, gar nichts, was das Universum so schön und greifbar macht. Es gibt so viele Atome, die sind so wichtig, dass wir total leicht vergessen, dass die überhaupt existieren müssen.

Es gibt ja kein Gesetz, das vorschreibt, dass das Universum voller Teilchen sein muss, die Licht, Schwerkraft und all die anderen physikalischen Eigenschaften erzeugen, von denen wir so abhängig sind. Eigentlich bräuchte es das Universum ja gar nicht. Lange Zeit gab's ja auch keins. Da gab's keine Atome, kein Universum, in dem die Atome rumschwirren konnten. Nix. Gar nichts.

Also, Gott sei Dank gibt's Atome! Aber dass es Atome gibt und dass die sich freiwillig zusammenfinden, das ist ja nur ein Teil der Geschichte, warum du jetzt hier bist. Du bist jetzt hier, im 21. Jahrhundert, und du bist auch noch schlau genug, um das zu kapieren. Und du musst auch noch das Glück haben, von einer ganzen Reihe von wirklich außergewöhnlichen Zufällen in der Biologie profitiert zu haben. Auf der Erde zu überleben ist nämlich echt verdammt schwer. Seit es die Erde gibt, gab's so um die hundert Milliarden Arten, und die meisten davon – so um die 99,9 Prozent – sind wieder weg vom Fenster. Das Leben hier ist nicht nur kurz, sondern auch total zerbrechlich. Wir sind auf einem Planeten entstanden, der zwar gut darin ist, Leben zu erschaffen, aber noch besser darin, es wieder zu vernichten. Das ist schon 'ne komische Sache.

'Ne normale Art auf der Erde hält sich so ungefähr vier Millionen Jahre. Wenn du jetzt hier Milliarden Jahre verbringen willst, dann musst du dich ständig verändern, so wie die Atome, die dich ausmachen. Du musst bereit sein, dass sich alles an dir ändert: Form, Größe, Farbe, Art – alles immer und immer wieder. Klingt leichter, als es ist, weil der Veränderungsprozess alles andere als planmäßig abläuft. Von irgendwelchen "ursprünglichen atomaren Partikeln" (um es mal mit Gilbert und Sullivan zu sagen) bis zum modernen, aufrechten Menschen mit Bewusstsein musst du über 'nen verdammt langen Zeitraum immer wieder neue Eigenschaften entwickeln, und das auch noch auf die richtige Art und Weise. Also, in den letzten 3,8 Milliarden Jahren warst du mal sauerstofffeindlich, dann wieder sauerstoffliebend, hattest Flossen, Gliedmaßen und schicke Flügel, hast Eier gelegt, mit 'ner gespaltenen Zunge die Luft abgeschmeckt, warst mal glatt, mal haarig, hast unter der Erde gelebt, in Bäumen, warst mal so groß wie 'n Elch, mal so klein wie 'ne Maus und noch 'ne Million andere Sachen. Das waren alles notwendige Schritte in der Evolution, und wenn da nur das kleinste bisschen was schiefgelaufen wäre, dann würdest du jetzt vielleicht Algen von 'ner Höhlenwand schlecken, wie 'n Walross faul auf 'nem Kieselstrand rumliegen oder aus deinen Nasenlöchern auf deinem Kopf Luft ausstoßen und in 18 Meter Tiefe 'nen leckeren Regenwurm fressen.

Du hattest nicht nur schon immer extrem viel Glück, zu 'ner bevorzugten evolutionären Linie zu gehören, sondern auch noch 'n verdammt – also, fast schon auf wundersame Weise – großes Glück mit deinen Vorfahren. Denk mal drüber nach! In den 3,8 Milliarden Jahren, das ist 'n Zeitraum, der länger ist als alle Berge, Flüsse und Meere der Erde zusammen, da war jeder einzelne deiner Vorfahren, sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits, attraktiv genug, um 'nen Partner zu finden, gesund genug, um Kinder zu kriegen, und hatte das Glück, lange genug zu leben, um Kinder zu kriegen. Keiner dieser Vorfahren von dir wurde überfahren, gefressen, ertrunken, ist verhungert, hat sich festgefahren, hat sich in jungen Jahren verletzt oder war unfähig, die richtige Menge an genetischem Material zur richtigen Zeit an den richtigen Partner weiterzugeben, damit dieser einzigartige genetische Code immer weitergegeben werden konnte, bis er dann, in einem winzigen Moment, dich erschaffen hat. Verrückt, oder?

In dem Buch hier geht's darum, wie das alles passiert ist – vor allem, wie wir überhaupt erstmal von "nicht existent" zu "existent" geworden sind, und wie dann ein kleiner Teil dieser Existenz zu uns geworden ist. Ich erzähl auch 'n bisschen was über die Zeit davor und die Zeit dazwischen. Das ist natürlich 'ne Menge Stoff, deswegen heißt das Buch auch "Eine kurze Geschichte von fast allem", obwohl das eigentlich gar nicht stimmt und auch gar nicht stimmen kann.

Aber wenn du Glück hast, dann hast du am Ende des Buches vielleicht trotzdem so 'n bisschen das Gefühl, dass du's doch irgendwie verstehst.

Die ursprüngliche Idee für das Buch, wie auch immer, kam mir so in der vierten oder fünften Klasse. Ich hatte so 'n Sachbuch, so 'n Schulbuch aus den 50ern – total zerknittert, langweilig und schwer. Aber vorne drin war 'ne Illustration, die hat mich total fasziniert: 'n Querschnitt durch die Erde. Stell dir vor, du nimmst 'n riesiges Messer und schneidest 'n Stück aus dem Planeten raus, so 'n Viertel ungefähr.

Kaum zu glauben, dass ich sowas noch nie gesehen hatte, aber ich war total gefesselt. Ich glaub, am Anfang hat mich nur die Vorstellung fasziniert, dass die Autos in den amerikanischen Bundesstaaten da einfach so drüber fahren, nichts ahnend, und dann plötzlich runterfallen in 'ne 6000 Kilometer tiefe Schlucht zwischen Mittelamerika und dem Nordpol. Aber dann hab ich mich mehr für die wissenschaftliche Bedeutung interessiert und gemerkt, dass die Erde aus verschiedenen Schichten besteht, mit 'nem heißen Eisen- und Nickelkern in der Mitte.

Der soll so heiß sein wie die Sonne! Ich war total baff und hab mich gefragt: "Woher wissen die das?"

Ich hab das sofort geglaubt, ich glaub Wissenschaftlern sowieso immer alles, wie Ärzten und Klempnern und anderen Leuten, die so 'n bisschen geheimnisvolles Wissen haben. Aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie man wissen kann, was da tausende Kilometer unter uns ist, aus was das besteht, was man ja nicht sehen kann und wo auch kein Röntgenstrahl durchkommt. Das war für mich einfach 'n Wunder. Und so seh ich Wissenschaft bis heute.

Ich war so aufgeregt, dass ich das Buch mit nach Hause genommen hab und schon vor dem Abendessen angefangen hab zu lesen. Ich glaub, meine Mutter hat mir deswegen erstmal an die Stirn gefasst, um zu gucken, ob ich Fieber hab. Aber das Buch war total unspannend. Gar nicht umfassend! Erstens hat es keine einzige Frage beantwortet, die man sich bei der Illustration so stellt: Wie kommt 'ne Sonne ins Innere unseres Planeten, und woher wissen die, wie heiß die ist? Wenn's da unten so heiß ist, warum ist der Boden unter unseren Füßen dann nicht glühend heiß? Warum schmilzt der Rest nicht, oder ist der vielleicht am Schmelzen? Und wenn der Kern irgendwann mal leer gebrannt ist, stürzt dann irgendwann mal 'n Teil der Erde da rein und hinterlässt 'n riesiges Loch? Und wie weißt du das alles? Wie habt ihr das ausgerechnet?

Aber der Autor hat all diese Fragen einfach ignoriert – eigentlich alle Fragen! Der hat nur über irgendwelche Synklinalen und Antiklinalen und Erdachsenabweichungen und so 'n Zeug geschrieben. Der hat alles absichtlich total kompliziert gemacht, um das Geheimnis für sich zu behalten. Mit der Zeit hab ich gemerkt, dass das gar nicht so 'ne persönliche Motivation war. Schulbuchautoren scheinen so 'ne Art Verschwörung zu haben, um zu verhindern, dass das, was sie schreiben, auch nur annähernd interessant ist. Die halten sich immer ganz weit weg von allem, was irgendwie spannend sein könnte.

Klar, es gibt 'ne Menge Wissenschaftsautoren, die total verständliche und spannende Bücher schreiben. Mir fallen da sofort Timothy Ferris, Richard Fortey und Tim Flannery ein (und der verstorbene, großartige Richard Feynman natürlich), aber leider hat keiner von denen meine Schulbücher geschrieben. Meine Schulbücher wurden alle von Leuten (immer Männer!) geschrieben, die dachten, dass alles nur dann klar und verständlich ist, wenn man's in Formeln ausdrückt. Und die hatten auch die witzige Vorstellung, dass amerikanische Kinder es total toll finden, am Ende jedes Kapitels 'n paar Aufgaben zu haben, an denen sie in ihrer Freizeit rumknobeln können. Deswegen war ich als Kind total davon überzeugt, dass Wissenschaft total langweilig ist. Aber ich hatte gleichzeitig auch so 'n bisschen das Gefühl, dass das eigentlich gar nicht so sein muss. Ich hab aber nie wirklich drüber nachgedacht, ob ich da vielleicht was ändern könnte. Lange Zeit hab ich das einfach so hingenommen.

Irgendwann später – ich glaub, so vor vier, fünf Jahren – war ich auf so 'nem langen Flug über den Pazifik. Ich hab so aus dem Fenster geguckt, da war 'n riesiger Mond und unten das Meer, das im Mondlicht geglitzert hat. Und plötzlich hab ich mich total unwohl gefühlt. Ich bin schon so viel rumgekommen auf der Welt, aber ich weiß eigentlich so wenig über die Erde, auf der ich lebe und auf der ich auch mein ganzes Leben lang leben werde. Ich wusste zum Beispiel nicht, warum das Meerwasser salzig ist, aber die Seen um die Ecke nicht. Keine Ahnung! Ich wusste nicht, ob das Meerwasser mit der Zeit immer salziger oder immer weniger salzig wird und ob das überhaupt 'n Problem ist, über das man sich Gedanken machen sollte. (Ich sag's dir ehrlich, bis in die 70er Jahre wussten die Wissenschaftler das auch nicht. Die haben das nur unter sich ausdiskutiert.)

Das Salzwasser war natürlich nur ein kleiner Teil von dem, was ich alles nicht wusste. Ich wusste nicht, was 'n Proton ist, was 'n Protein ist, was 'n Quasar ist, wie Geologen das Alter von Gesteinsschichten bestimmen können – eigentlich wusste ich gar nichts! Und plötzlich hatte ich den Drang, das alles zu lernen, vor allem wollte ich wissen, wie die Leute das alles rausgefunden haben. Wie Wissenschaftler diese Probleme gelöst haben – das fand ich immer am faszinierendsten. Woher wissen die, wie schwer die Erde ist, wie alt die Steine sind, was im Erdinneren los ist? Woher wissen die, wie das Universum entstanden ist, wann es entstanden ist und wie es damals ausgesehen hat? Woher wissen die, was in Atomen drin ist? Wie können Wissenschaftler fast alles wissen, aber trotzdem keine Erdbeben vorhersagen und nicht mal genau sagen, ob ich am Mittwoch beim Fußball 'n Regenschirm brauche? Was ist da eigentlich los?

Also, hab ich beschlossen, mir 'n bisschen Zeit zu nehmen – am Ende sind's drei Jahre geworden – und hab angefangen, Bücher zu lesen, Zeitungen zu lesen und Experten zu interviewen, die geduldig genug waren, meine vielen blöden Fragen zu beantworten. Ich wollte gucken, ob es möglich ist, die Wunder und Errungenschaften der Wissenschaft zu verstehen und zu schätzen – ohne dass man gleich zum Experten werden muss.

Das war so meine Idee, meine Hoffnung, und das Buch hier ist so geschrieben, wie ich mir das vorgestellt hab. Wir haben 'ne Menge vor, aber dafür brauchen wir keine Million Stunden, also fangen wir an!

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