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Calculating...

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Ja, hallo erstmal, ähm, also, lass uns mal über was ganz Verrücktes reden: Kapitel zwei, quasi, "Alles ändert alles", ja? Klingt erstmal total abgedroschen, ich weiß, aber bleibt mal dran. Es geht im Grunde um diese Illusion, dass wir alle so Einzelkämpfer sind, dabei hängen wir alle total zusammen.

Wir alle kennen doch diese Momente, wo wir im Nachhinein denken: "Wow, das war echt Glück, oder? Das hat mein Leben komplett verändert." Vielleicht war's die zufällige Begegnung mit dem Partner oder, keine Ahnung, irgendein Kurs in der Schule, der dich dann auf eine ganz andere Karriere gebracht hat. Oder eben so ein Beinahe-Unfall, wo du gerade noch so das Lenkrad rumgerissen hast, oder ein Haus, das du nicht bekommen hast, und dann findest du was viel Besseres. Diese Momente sind halt krass, weil sie so offensichtlich sind. Wir denken dann drüber nach, was hätte sein können. War ja klar, dass da 'n anderer Weg gewesen wäre. Aber wegen dieser einen kleinen Änderung treffen sich Leute nicht, Leidenschaften bleiben unerkannt, Beinahe-Unfälle werden tödlich.

Aber wir denken dann meistens, dass das Ausnahmen sind, so diese Momente, über die wir uns so wundern, eben weil sie so selten sind. Wir bilden uns ein, dass wir unser Leben nicht mit Zufall bauen, sondern mit großen, hoffentlich klugen Entscheidungen. Entscheidungen, von denen wir glauben, dass wir sie alleine kontrollieren. Wir holen uns vielleicht Rat, welchen Weg wir einschlagen sollen, aber doch nicht, wenn wir eh nichts machen können! Keiner kauft 'n Selbsthilfebuch, wie man 'n Asteroideneinschlag überlebt, oder? Wenn wir so große Entscheidungen treffen, dann ist uns doch klar, dass wir unseren Kurs ändern. Das richtige Studium, hart arbeiten im ersten Job, den richtigen Partner fürs Leben finden. Mach die großen Sachen richtig, heißt es dann, und alles wird gut. Kennen wir doch von irgendwelchen Motivationsreden oder Selbsthilfebüchern: Du bist die Lösung! Diese Botschaft ist so beliebt, weil wir unser Leben durch so eine individualistische Brille sehen. Unsere Lebensgeschichte ist ja nicht von allen zusammen geschrieben, oder? Unsere Entscheidungen bestimmen unseren Weg, also kontrollieren wir ihn auch. "Ich" ist das Maß aller Dinge, so denken wir.

Aber manchmal, ganz kurz, sehen wir dann doch, wie sich unser Weg mit dem von anderen kreuzt, und zwar so, dass wir es nicht kontrollieren können. Wir nennen das dann Glück, Zufall oder Schicksal. Aber wir tun das als Ausnahme ab. Wenn die Welt "normal" läuft, dann hat das Leben 'ne vorhersehbare, geordnete Regelmäßigkeit. Und wir überzeugen uns davon, dass wir die auch steuern können, als wären wir die Meister unseres Schicksals. Und dann, wenn wir mit komischen Zufällen oder so komischen Wendungen konfrontiert werden, die diese Sicherheit infrage stellen, dann zucken wir kurz mit den Schultern und machen weiter. Wir bereiten uns halt auf die nächste große Entscheidung vor, die unsere Zukunft formt. So denken wir halt alle.

Es gibt nur ein Problem: Das ist gelogen! Das ist die Lüge unserer Zeit. Die Illusion des Individualismus, könnte man sagen. Wir klammern uns daran, wie ein Schiffbrüchiger an ein Stück Holz. Aber ab und zu gibt's Geschichten, die zeigen, wie absurd es ist, uns als getrennt von allen anderen zu sehen.

Da war doch dieser Ivan im Sommer 2022. Der ist vor der Küste Griechenlands ins Meer gespült worden. Seine Freunde haben sofort die Küstenwache gerufen, aber die haben ihn nicht gefunden. Ivan wurde schon für tot erklärt. Aber dann, 18 Stunden später, wurde er doch noch gefunden. Lebend! Unglaublich, oder? Er hatte kurz bevor er untergegangen wäre, 'nen kleinen Fußball gesehen, der da im Wasser rumtrieb. Mit seiner letzten Kraft ist er hingeschwommen und hat sich festgehalten. Und wurde dann gerettet. Der Ball hat ihm das Leben gerettet!

Als die Geschichte in den griechischen Nachrichten kam, hat 'ne Mutter von zwei Jungs das gesehen und war total geschockt. Sie hat den Ball erkannt! Ihre Jungs hatten genau mit diesem Ball gespielt, zehn Tage vorher, und einer hatte ihn aus Versehen ins Meer gekickt. Der Ball war dann über 130 Kilometer weit getrieben, bis er genau im richtigen Moment bei dem ertrinkenden Ivan war. Die Jungs haben sich nicht viel dabei gedacht, neuen Ball gekauft, fertig. Aber erst später haben sie kapiert, dass Ivan ohne ihren Ball jetzt tot wäre.

Die wahre Geschichte unseres Lebens wird oft am Rande geschrieben. Kleine Details sind wichtig. Und sogar die scheinbar unbedeutenden Entscheidungen von Leuten, die wir nie treffen werden, können unser Schicksal besiegeln. Die meisten von uns werden das aber nie so klar sehen wie Ivan. Aber der Fehler ist, zu denken, dass Ivan 'n Einzelfall ist. Ist er nicht! Ivan hat nur zufällig einen klaren Blick auf das bekommen, was um uns herum ständig passiert, während wir das ignorieren, weil wir so 'ne beschränkte Sichtweise haben, die davon ausgeht, dass wir unabhängige Einheiten sind, die alleine für ihr Leben verantwortlich sind.

Das Leben ist wie 'n Teppich, der mit so 'nem magischen Faden gewebt ist. Und je mehr du ihn abrollst, desto länger wird er. Jeder Moment entsteht aus Fäden, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, aber bis in die ferne Vergangenheit reichen. Wenn du an einem Faden ziehst, dann gibt's immer unerwarteten Widerstand, weil alles mit allem verbunden ist. Martin Luther King Jr. hat das mal so gesagt: "Wir sind in einem unvermeidlichen Netzwerk der Gegenseitigkeit gefangen, verbunden in einem einzigen Gewand des Schicksals."

Im Jahr 1814 hat sich so ein französisches Universalgenie namens Pierre-Simon Laplace mit diesen ganzen Fragen beschäftigt: Warum können wir unsere Zukunft so schlecht vorhersagen? Warum überraschen uns Ereignisse so oft? Können wir verstehen, warum sich die Welt verändert, damit wir sie besser kontrollieren können?

Laplace war halt 'n Mathe-Genie und baute auf Isaac Newton auf, der für seine Zeit sowas wie 'n Übermensch gewesen sein muss. Vor Newton war die Welt 'n wildes Rätsel. Newton hat dann viele Geheimnisse gelüftet und als "Gesetze" aufgeschrieben, die das Verhalten von Objekten in Bewegung erklären. Das hat alles verändert, nicht nur unser Verständnis vom Universum, sondern auch unsere Sichtweise. Früher haben wir Veränderungen und Katastrophen den Göttern zugeschrieben. Schiffe sind gesunken und Türme eingestürzt, weil die Menschen die Götter verärgert hatten. Newton hat diese Götter quasi in Rente geschickt. Wir brauchten keine Götter mehr, um jede kleine Veränderung in unserem Leben zu erklären. Wir brauchten nur noch 'ne Erklärung, woher die Gesetze kommen, die das Universum regieren. Gott hat vielleicht die Uhr geschaffen, aber Newtons Gesetze haben sie am Laufen gehalten.

Und das hat Laplace auf 'ne Idee gebracht. Wenn wir in so 'ner Art Uhrwerk-Universum leben, das von festen Gesetzen regiert wird, dann müssten wir die Zukunft komplett genau vorhersagen können, wenn wir die Mechanismen verstehen. Wir könnten dann die Zukunft so klar sehen wie die Gegenwart. Wir brauchen nur die richtigen Werkzeuge. Vor der wissenschaftlichen Revolution wäre es doch Zauberei gewesen, die Bewegung von Billardkugeln auf 'm Tisch vorherzusagen. Aber mit Newtons Gesetzen, mit Mathematik und Physik, konnte man das. Könnte man nicht das ganze Universum in was Vorhersehbares verwandeln?

Laplace hat dann überlegt, dass jedes Ereignis, jeder Windstoß, jedes Molekül, von festen wissenschaftlichen Regeln bestimmt wird: Newtons Naturgesetze. Wenn du also vorhersagen willst, ob jemand beim Billard 'ne Kugel einlocht, dann musst du die Gesetze der Physik kennen, das Gewicht der Kugel, die Kraft und den Winkel beim Stoß. Aber du musst auch die scheinbar unwichtigen Details kennen: die Temperatur im Raum, ob 'n Luftzug durch 'ne offene Tür kommt, oder ob noch Kreidereste am Queue sind. Aber wenn du alle Informationen hast, bis runter zu den Atomen in der Kugel und den Luftmolekülen, dann könntest du perfekt vorhersagen, wo die Kugel landet. Und dann hat er noch was ganz Verrücktes vorgeschlagen: Was, wenn Menschen auch nur wie Billardkugeln sind, die zusammenstoßen, aber den gleichen Naturgesetzen folgen?

Darauf aufbauend hat Laplace sich dann ein Gedankenexperiment ausgedacht. Stell dir vor, es gibt 'ne übernatürliche Kreatur – Laplace' Dämon –, die alles weiß. Die hätte keine Macht, irgendwas zu verändern, aber sie wüsste jedes Detail über jedes Atom im Universum, von den Molekülen für jedes Sandkorn am Strand bis zur Zusammensetzung jeder Bakterie im Darm von 'nem Gürteltier. Wenn es so ein Wesen gäbe, dann wäre für diesen Intellekt nichts ungewiss, und die Zukunft wäre genauso gegenwärtig wie die Vergangenheit. Mit perfekten Informationen würde der Dämon die Realität in Raum und Zeit wie ein gelöstes Puzzle sehen. Er würde verstehen, warum alles passiert, und könnte deshalb wissen, was als Nächstes passiert. Der Fußball, der im Meer treibt, hat Ivan überrascht. Aber Laplace' Dämon, der klar sehen kann, wie alles zusammenhängt, der wüsste, dass der Ball kommt, bevor Ivan überhaupt Panik bekommt. Für den Dämon gäbe es keine Geheimnisse.

Andere Wissenschaftler und Philosophen lehnen diese Vorstellung von so 'ner Art Uhrwerk-Welt ab. Sie sagen, es liegt nicht daran, dass uns das Verständnis oder die Werkzeuge fehlen, sondern dass die Geheimnisse des Universums einfach nicht erkennbar sind. Unser Leben könnte anders sein. Die Zukunft wird immer rätselhaft bleiben, egal welche Technologie wir haben. Es ist nicht so, dass wir es nicht wissen. Sondern dass wir es nicht wissen *können*.

Also, was stimmt denn jetzt? Leben wir in so 'ner Uhrwerk-Welt oder in einer, die ungewiss ist?

Vor 60 Jahren hat uns ein Mann namens Edward Norton Lorenz der Antwort näher gebracht. Lorenz hat sich schon als Kind für das Wetter interessiert. Aber das hat er dann erstmal vergessen, als er Mathe studiert hat. Dann kam der Zweite Weltkrieg. Und Lorenz hat zufällig so 'n Werbeflyer für die Wettervorhersage-Einheit der Armee gesehen. Da hat er sich erinnert, dass er sich ja immer für das Wetter interessiert hat. Er wurde dann in meteorologischen Systemen ausgebildet und wurde dann nach Saipan und Okinawa geschickt, wo er für die Vorhersage der Wolkendecke für Bombenangriffe zuständig war.

Aber selbst mit den besten Köpfen und der besten Ausrüstung war die Meteorologie in den 40ern Rätselraten. Nach dem Krieg hat Lorenz dann beschlossen, diese Lektionen, die er aus den unvorhersehbaren Wettersystemen gelernt hatte, zu nutzen und größere Wahrheiten darüber zu testen, warum Dinge passieren. In den 60ern waren Computer noch in den Kinderschuhen. Trotzdem hat Lorenz auf seinem Computer so eine Art Miniaturwelt erschaffen. Statt der Millionen von Variablen, die das Wetter beeinflussen, hatte sein Modell nur zwölf einfache Variablen, wie Temperatur und Windgeschwindigkeit. In dieser digitalen Welt war Lorenz wie Laplace' Dämon: Er konnte immer die genauen Messwerte von allem in seiner Welt kennen. Konnte er damit in die Zukunft sehen?

Eines Tages wollte Lorenz 'ne Simulation wiederholen. Um Zeit zu sparen, hat er mitten drin angefangen und die Daten aus diesem früheren Zeitpunkt eingegeben. Er dachte, solange er die Windgeschwindigkeit und Temperatur auf die gleichen Werte setzt, würden die Wettermuster sich wiederholen, so wie vorher. Gleiche Bedingungen, gleiche Ergebnisse.

Aber dann ist was Seltsames passiert. Obwohl Lorenz alles so eingerichtet hatte wie vorher, war das Wetter in der Wiederholung komplett anders. Da muss 'n Fehler passiert sein, dachte er. Aber dann hat er gemerkt, was los war. Seine Computer-Ausdrucke haben die Daten auf drei Dezimalstellen gerundet. Wenn die Windgeschwindigkeit zum Beispiel 3,506127 Meilen pro Stunde war, dann hat der Ausdruck 3,506 Meilen pro Stunde angezeigt. Und als er diese leicht gerundeten Werte wieder in die Simulation eingegeben hat, lag er immer minimal daneben. Diese scheinbar bedeutungslosen Änderungen, diese kleinen Rundungsfehler, haben große Veränderungen verursacht!

Das hat Lorenz dann zu der Erkenntnis gebracht, dass selbst in so 'ner Art Uhrwerk-Universum mit kontrollierten Bedingungen winzige Veränderungen einen riesigen Unterschied machen können. Allein wenn man die Temperatur um ein Millionstel Grad erhöht oder den Luftdruck um ein Billionstel Bar senkt, kann das Wetter ein paar Monate später komplett anders sein. Daraus ist dann der "Schmetterlingseffekt" entstanden: Die Vorstellung, dass ein Schmetterling, der in Brasilien mit den Flügeln schlägt, 'nen Tornado in Texas auslösen kann.

Lorenz hat damit quasi die Chaostheorie erfunden. Die Lektion war klar: Wenn es Laplace' Dämon geben könnte, dann müssten seine Messungen perfekt sein. Wenn der Dämon auch nur um ein Atom danebenliegt, dann würden seine Vorhersagen mit der Zeit komplett falsch werden. Wir wissen jetzt, dass viele Systeme chaotisch sind. Sie sind so empfindlich gegenüber kleinsten Veränderungen, dass sie unmöglich vorherzusagen sind. Selbst mit den besten Supercomputern sind unsere Wettervorhersagen immer noch unzuverlässig. Mikroskopische Unterschiede können zu großen Veränderungen führen. Sherlock Holmes hat mal gesagt: "Es ist schon lange mein Grundsatz, dass die kleinen Dinge unendlich wichtig sind." Die Chaostheorie hat Holmes Recht gegeben.

Weil kleine Veränderungen so 'nen großen Unterschied machen können, wird uns das Universum immer ungewiss erscheinen, sogar zufällig. Egal welche technologischen Fortschritte wir machen, wir werden nie zu Laplace' Dämon werden. Selbst wenn es so 'ne Art Uhrwerk-Universum gibt, werden wir es nie ganz verstehen.

Die Chaostheorie hat verändert, wie wir die Welt verstehen. Aber sie wirft auch unangenehme Fragen über unsere Existenz auf. Wenn 'ne winzige Änderung der Windgeschwindigkeit ein paar Monate später Stürme verursachen kann, was ist dann mit deiner Entscheidung, an 'nem Dienstagmorgen aus dem Bett zu springen, anstatt die Schlummertaste zu drücken? Wird unser Leben von unbedeutenden Entscheidungen und scheinbar zufälligem Unglück oder Glück bestimmt? Und wenn Henry Stimsons Urlaubspläne im Jahr 1926 beeinflussen können, wer zwanzig Jahre später stirbt, dann ist es vielleicht nicht nur unsere Schlummertaste, um die wir uns Sorgen machen müssen. Die Schlummertasten und scheinbar unbedeutenden Entscheidungen von Milliarden von anderen Menschen beeinflussen auch unser Leben, selbst wenn wir das nie merken.

Wenn du dir die Realität genauer ansiehst, dann wirst du feststellen, dass wir über Raum und Zeit hinweg untrennbar miteinander verbunden sind. In so 'ner Welt, in der alles miteinander verbunden ist, ist alles, was wir tun, wichtig, weil unsere Entscheidungen Stürme verursachen oder beruhigen können. Das bedeutet, dass wir viel weniger von unserer Welt kontrollieren, als wir denken. Es fühlt sich zwar besser an, das Gegenteil zu glauben, aber das stimmt nicht.

Egal warum wir die Einheit unserer Welt ignorieren und alles in getrennte Kästchen einteilen, die Verbundenheit ist die Realität. Sie treibt alles an. Unsere Welt ist miteinander verbunden. Wenn du das akzeptierst, dann wird klar, dass Zufall, Chaos und willkürliche Ereignisse 'ne große Rolle dabei spielen, warum Dinge passieren. In so 'ner Welt, in der alles miteinander verbunden ist, sind Zufälle wichtig. Es gibt keine klare Trennung zwischen "Signal" und "Rauschen". Das Rauschen im Leben einer Person ist das Signal für eine andere.

Das gilt auch für mich, für meine Vorfahren, und auch für dich. Jede Entwicklung im Leben hängt von kleinen, zufälligen Details ab. Wir tun gerne so, als wäre das nicht wahr, aber die Realität interessiert sich nicht dafür, was wir denken. Wir surfen auf den Wellen anderer.

Was für Einzelpersonen gilt, gilt auch für Gesellschaften. Was verursacht die sogenannten "Black Swans"? Das sind große, unerwartete Ereignisse, die uns überraschen. In den letzten Jahrhunderten ist die Welt immer stärker vernetzt. Das bedeutet, dass kleine Veränderungen, Unfälle und Zufälle häufiger zu "Black Swans" führen können als je zuvor. Ein Vulkanausbruch in Island kann Millionen von Menschen stranden lassen. Ein Schiff, das im Suezkanal feststeckt, kann Lieferketten in Dutzenden von Ländern unterbrechen. Eine Person, die sich mit 'nem neuen Virus infiziert, kann alles lahmlegen. Unsere Welt ist hypervernetzt.

Unsere Welt ist nicht nur miteinander verbunden, sondern auch im ständigen Wandel, selbst wenn wir das nicht merken. Während du das hier hörst, veränderst du dich. Deine Gehirnstrukturen verändern sich, während du jedes Wort aufnimmst. Und selbst wenn wir scheinbar nichts Besonderes tun, passieren außerhalb von uns Dinge, die unser Leben in der Zukunft verändern werden, auch wenn wir das noch nicht wissen. Der griechische Philosoph Heraklit hat mal gesagt: "Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen, denn es ist nicht derselbe Fluss und man ist nicht derselbe Mensch." Und sein Schüler Kratylos hat hinzugefügt, dass wir nicht nur passive Beobachter sind. Wenn du in 'nen Fluss steigst, veränderst du ihn. Nichts ist statisch. Selbst mikroskopische Veränderungen summieren sich mit der Zeit.

Wissenschaftler, besonders die, die komplexe Systeme studieren, wissen das schon lange. In so 'nem chaotischen System, wie Lorenz entdeckt hat, verursacht 'ne kleine Veränderung in irgendeinem Teil des Systems unvorhersehbare Auswirkungen auf alles andere. Es ist unmöglich, zu übersehen, dass nichts wirklich unabhängig ist. Alles ist Teil eines großen Ganzen.

Einige Menschen haben das noch intensiver erlebt als wir anderen: die Astronauten, die die Erde aus dem Weltraum gesehen haben. Diese Sicht verändert Menschen. Als das amerikanische Raumfahrtprogramm begann, hat die NASA nach rationalen Pragmatikern gesucht, die nicht von Emotionen überwältigt werden. Sie hatten Angst, dass Philosophen und Dichter ein Flugzeug abstürzen lassen könnten.

Aber obwohl die Astronauten aufgrund ihrer kalten Art ausgewählt wurden, waren die, die die Erde gesehen haben, überwältigt. "Es war der schönste Anblick meines Lebens", sagte Frank Borman. Edgar Mitchell sagte, dass die Erfahrung ihm 'ne "Ekstase der Einheit" gab und ihm die Verbundenheit des Lebens bewusst machte. Diese Erkenntnis ist so häufig, dass sie 'nen Namen hat: der "Overview-Effekt".

Wir sind mit unserem Blickfeld eingeschränkt. Aber wenn wir das erweitern, so wie die Astronauten, dann wird klar, dass Individualismus 'ne Illusion ist. Verbundenheit macht uns aus.

Am Anfang fühlt sich so 'ne Welt, in der alles miteinander verbunden ist, beängstigend an. Niemand will hören, dass er keine Kontrolle hat, oder dass die Entscheidung eines Fremden am anderen Ende der Welt uns töten kann. Aber so funktioniert die Welt. Selbst Entscheidungen von Menschen, die schon lange tot sind, spielen immer noch 'ne Rolle.

Aber diese Realität ist nicht beängstigend, sondern wunderbar. Sie gibt jedem Moment im Leben 'ne versteckte Bedeutung. Sie stellt den Individualismus auf den Kopf. Nicht wir haben die Kontrolle über unser Schicksal, sondern selbst unsere kleinsten Entscheidungen verändern die Welt.

Es ist Zeit, unsere Sichtweise zu ändern. Unsere chaotische, verbundene Existenz offenbart eine erstaunliche Tatsache: Wir kontrollieren nichts, aber wir beeinflussen alles.

Die meisten Leute erkennen das nicht, weil wir mit Botschaften bombardiert werden, die uns das Gegenteil sagen: Individualismus statt Verbundenheit. Der Mythos von 'ner kontrollierbaren Welt ist überall, besonders in der westlichen Gesellschaft. Alles in unserer Kultur gibt uns das Gefühl, die Hauptfigur zu sein.

Die westliche Moderne hat Mythen hervorgebracht, um zu erklären, wie Veränderungen in unserem Leben passieren. Die Vorstellung von getrennten Individuen, die zielstrebig handeln, ist so weit verbreitet, dass man sich anhört wie 'n Guru, wenn man sagt: "Wir sind alle miteinander in 'nem Netz verbunden".

Unsere modernen Vorstellungen vereinfachen die Realität. Sie ersetzen Unsicherheit durch Sicherheit, Chaos durch Ordnung und 'ne verbundene Welt durch eine, in der rationale Individuen unabhängige Entscheidungen treffen. Das tröstet uns. Menschen mögen einfache Geschichten, in denen X Y verursacht, und nicht, in denen tausend Faktoren zusammenwirken. Wir konzentrieren uns auf große Veränderungen, um große Ereignisse zu erklären. Wir stecken sogar die Natur in 'ne eigene Box, anstatt uns als untrennbaren Teil von ihr zu sehen.

Unsere Sprache spiegelt diese falschen Vorstellungen wider. Wenn wir von unserer Geburt sprechen, sagen wir oft, dass wir ins Universum gekommen sind, obwohl wir eigentlich aus ihm herausgekommen sind. Überall gibt es fehlerhafte Annahmen, die aus diesem trügerischen Weltbild stammen.

Nicht jeder hat sich dem Individualismus angeschlossen. Es gibt 'ne grundlegende Spaltung in der Philosophie, zwischen der atomistischen und der relationalen Sichtweise. Die atomistische Sichtweise besagt, dass unsere individuelle Natur trennbar ist. Untersuche die Bestandteile, nicht wie sie interagieren. Die westlichen philosophischen Traditionen betonen eher den Atomismus.

Die östliche Philosophie wird eher vom relationalen Denken bestimmt. Die Verbindungen zwischen den Komponenten sind wichtiger als die Komponenten selbst. Die relationale Sichtweise besagt, dass Individuen nur als Teil von etwas Größerem verstanden werden können, dass unsere Identität sozial und kontextuell definiert ist.

Woher kommt diese Spaltung? Einige sagen, dass es an 'nem Unfall der zoologischen Geschichte liegen könnte. In der Genesis heißt es: "Lasst uns Menschen machen nach unserem Bilde, uns ähnlich: und sollen herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht." In dieser Vision ist der Mensch getrennt vom Rest der Natur. Das fühlte sich für die Bewohner des Nahen Ostens und Europas um die Zeit der Entstehung des Christentums herum wahr an.

In vielen östlichen Kulturen betonten die alten Religionen eher unsere Einheit mit der Natur. Eine Theorie besagt, dass das daran lag, dass die Menschen unter Affen lebten. Wir haben uns in ihnen wiedererkannt. Das Wort Orang-Utan bedeutet sogar "Mensch des Waldes". In diesen Primaten wurde es unmöglich zu ignorieren, dass wir Teil der Natur waren.

Unabhängig von ihren Ursprüngen spiegelt sich die Spaltung in der Religion wider. Hindus beziehen sich auf das Brahman, das Konzept der totalen Einheit für alles, was im Universum existiert, im Gegensatz zum Atman, der individuellen Seele, die nur die Illusion der Unabhängigkeit vom Ganzen hat. Buddhisten versuchen, ein Gefühl des "Nicht-Selbst" zu erreichen, die Umkehrung 'ner individualistischen Weltanschauung.

Früher dachten Christen auch so. Frühe europäische Christen sahen Gott nicht als getrennt von der Natur, sondern als Teil von ihr – "überall in allem gegenwärtig". Bis zur Aufklärung hatte sich die Vorstellung vom Göttlichen verändert. Gott war zu 'nem getrennten Wesen geworden, das Newton als Individuum sah, das "sehr versiert in Mechanik und Geometrie" war.

Heute priorisiert das moderne Christentum eher die Rolle eines einzigartigen Selbst, sowohl in der individuellen moralischen Verantwortung als auch in Gebeten, die um göttliche Intervention von 'nem einzigen Gott bitten. In einigen Strömungen des modernen Protestantismus hat sich sogar die "Wohlstandstheologie" durchgesetzt, in der der Glaube eines Individuums und positive Gedanken direkt von Gott belohnt werden.

Mit der Zeit hat sich der Individualismus verstärkt, weil wir auch unser Gefühl der Verbundenheit mit der Natur verloren haben. Wir sehen uns jetzt als über, anstatt als Teil von allem um uns herum.

Moderne Menschen beherrschen 'nen kleinen Teil der Welt. Aber indem wir unsere Bemühungen koordinieren und diese Teile zusammenfügen, haben wir unvorstellbares Potenzial freigesetzt. Das war der große Triumph des Reduktionismus, bei dem angenommen wird, dass komplexe Phänomene am besten verstanden werden können, indem man sie in ihre Einzelteile zerlegt. Aber je mehr man sich auf Systeme als trennbare Teile konzentriert, desto leichter ignoriert man die Verbindungen.

Sogar das wissenschaftliche Konzept dessen, was es bedeutet, von 'nem "Individuum" zu sprechen, wird überarbeitet. Einige Wissenschaftler bezeichnen Menschen nicht mehr als Individuen, sondern als "Holobionten", was 'nen Kernwirt (in unserem Fall 'nen Menschen) sowie den Zoo von Organismen umfasst, die in oder um uns herum leben. Schätzungen zufolge haben wir etwa 1,3 Bakterienzellen in uns für jede menschliche Zelle. Wissenschaftlich waren wir noch nie singulär.

Diese Denkweise widerspricht jeder Intuition, die wir haben. Aber der Philosoph Derek Parfit hat sich mal so 'n Gedankenexperiment ausgedacht, das unsere falschen Annahmen aufdeckt. Stell dir vor, du hast die kleinste Pinzette der Welt, die nur eine menschliche Zelle gleichzeitig greifen kann. Du betrittst 'nen Operationssaal, neben dir sitzt Madonna. Dann beginnt ein Chirurg, eine Zelle nach der anderen zwischen euch beiden auszutauschen, bis ganze Teile eurer Körper ersetzt sind.

Es ist einfach, die Extreme zu verstehen. Wenn nur eine Zelle ausgetauscht wird, bist du immer noch "du". Aber wenn jede Zelle ausgetauscht wird, wäre es absurd zu sagen, dass "du" immer noch auf dem Stuhl sitzt, auf dem du angefangen hast. Aber ab welchem Zeitpunkt hörst du auf, du zu sein? Bist du immer noch "du", wenn 30 Prozent deiner Zellen ersetzt wurden? Wie wäre es mit 50,1 Prozent? Es gibt keine klare Antwort.

Wenn man sich das individualistische Paradigma genauer ansieht, dann sieht man, dass es ein fehlerhaftes Konzept ist. Zum Glück können wir, wenn wir uns mit der Illusion des Individualismus auseinandersetzen, einige tröstliche Erkenntnisse darüber gewinnen, wie wir wirklich in die Welt passen. Parfit kam zu dem Schluss, dass die Erkenntnis einer miteinander verbundenen Existenz befreiend ist.

"Mein Leben schien wie ein Glastunnel, durch den ich jedes Jahr schneller raste, und am Ende war Dunkelheit. Als ich meine Sichtweise änderte, verschwanden die Wände meines Glastunnels. Ich lebe jetzt an der frischen Luft. Es gibt immer noch 'nen Unterschied zwischen meinem Leben und dem Leben anderer Menschen. Aber der Unterschied ist geringer. Andere Menschen sind näher. Ich mache mir weniger Sorgen um den Rest meines Lebens und mehr Sorgen um das Leben anderer." Das Verständnis der relationalen Natur der Realität verändert, wie wir die Welt erleben.

Aus der Erkenntnis unserer chaotischen Realität ergeben sich viele Schlussfolgerungen. Wir werden diese zusammen erforschen. Unterwegs werden wir vielleicht anders über unsere Ursprünge, unsere Gesellschaften, unser Leben und sogar das Wesen der Veränderung selbst denken.

Wir werden sechs große Fragen angehen:

Passiert alles aus einem Grund, oder passiert einfach so?
Warum haben kleine Veränderungen manchmal große Auswirkungen?
Warum klammern wir uns an eine Märchenbuchversion der Realität, auch wenn sie nicht wahr ist?
Können wir Zufälle nicht einfach mit besseren Daten und ausgefeilteren Wahrscheinlichkeitsmodellen zähmen?
Woher kommen Zufälle und warum überraschen sie uns?
Können wir besser und glücklicher leben, wenn wir das Chaos unserer Welt annehmen?

Die Antworten auf diese Fragen ergeben zusammengefasst die erstaunliche Schlussfolgerung, dass kleine, zufällige Veränderungen wichtiger sind, als wir glauben. Wir treiben alle wie 'n Fußball auf 'nem Meer der Ungewissheit, auch wenn es uns so vorkommt, als würden wir in 'ner geraden Linie schwimmen. Das bedeutet, dass wir in 'ner Welt leben, die zufälliger ist, als wir vorgeben wollen. Das zieht sich bis zum Anfang zurück, vor Milliarden von Jahren, zum größten Zufall überhaupt.

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