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Calculating...

Also gut, dann mal los. Kapitel Zehn, ja? Fängt an mit... ja, mit der passiven Stimme. "Ist auch in Verbindung gebracht worden..." So ein Satz.

Es geht um 'ne Anhörung, so wie's klingt, von so 'ner Gruppe Politiker. Irgendwie 'ne Epidemie, wird da diskutiert. Drei Zeugen wurden vorgeladen. Alles virtuell, ne? Jeder hockt zu Hause vor'm Bücherregal oder Küchenschrank. Eine Stunde schon am Laufen. Ich lass jetzt mal die ganzen Namen und so weg, weil's mir nur um die Worte geht, verstehst? Und die Absichten dahinter.

Da ist zum Beispiel die erste Zeugin. Ne ältere Dame, so in den Siebzigern. Kurze, weiße Haare, ganz in Schwarz. Hat am Anfang Schwierigkeiten mit dem Mikrofon gehabt, mit dem Stummschalten. Wirkt irgendwie nervös, unruhig. Ist das alles nicht gewohnt, kommt aus 'ner privilegierten Welt. Kritisiert zu werden, das kennt die wohl nicht so oft. Ihre Brille, die sieht aus, als würde sie gleich von der Nase rutschen.

Die sagt dann, dass sie sich entschuldigen würde für das Leid und die Tragödien, die die Leute erlebt haben. Aber, nee, die Vorsitzende meint, das ist nicht die Entschuldigung, die sie hören will. Sie soll sich für ihre Rolle in der Krise entschuldigen. Die Zeugin sagt dann, sie hat lange darüber nachgedacht, ob sie was hätte anders machen können, mit dem Wissen, das sie damals hatte. Aber sie kann sich nichts vorstellen. Was sie damals wusste, was sie von den Berichten des Vorstands gelernt hat, von ihren Kollegen, blablabla.

Dann kommt Zeuge Nummer zwei dran. Der Cousin von der Dame. Junger Mann, gepflegt, Anzug und Krawatte. Die Vorsitzende fragt ihn auch, ob er sich entschuldigen will. Er meint, er schließt sich dem an, was seine Cousine gesagt hat. Ja, klar, ne?

Erwartet irgendjemand, dass die zugeben, dass sie 'ne Epidemie ausgelöst haben? Wohl eher nicht. Die Anwälte haben die bestimmt vorher schön gebrieft, wie man sich am besten selbst schützt. Aber die Art, wie die jegliche Verantwortung von sich weisen, das deutet irgendwie darauf hin, dass die ihre Schuld entweder noch gar nicht eingesehen haben oder dass da was außer Kontrolle geraten ist, was sie selbst nicht richtig verstanden haben.

Später, so 'ne Stunde später, fragt dann ein anderer Politiker, Zeuge Nummer drei, ob jemals ein Manager von der Firma im Gefängnis war für das, was die Firma gemacht hat. Die Antwort: Nein. Keiner fühlt sich verantwortlich. Und scheinbar sieht's auch sonst keiner so.

Der Politiker sagt dann, es ist leicht, sich über die Verfehlungen der Firma aufzuregen, aber was ist mit der Regierung, die sowas überhaupt zulässt? Dann wendet er sich wieder Zeuge Nummer zwei zu, dem jungen Mann. Dessen Familie hat gerade 'ne Einigung mit der Regierung erzielt, wegen irgendwelcher Anklagen. Er saß mal im Vorstand und ist der Erbe.

Der Politiker fragt ihn, ob er im Rahmen der Einigung irgendein Fehlverhalten oder Verantwortung für die Krise eingestehen musste. Die Antwort: Nein. Ob er vom Justizministerium befragt wurde, über seine Rolle? Auch nein. Ob er irgendeine Verantwortung übernimmt? Und da kommt's: Er sagt, er übernimmt 'ne tiefe moralische Verantwortung, weil ihr Produkt, trotz aller Bemühungen, "in Verbindung gebracht wurde" mit Missbrauch und Sucht.

"In Verbindung gebracht wurde." Die passive Stimme. Ein anderer Politiker hakt sofort ein und sagt, dass diese passive Formulierung impliziert, dass er und seine Familie gar nicht wussten, was da eigentlich abging.

Wenn man sich die komplette Anhörung anhört, bleibt einem dieser Satz im Kopf hängen: "die passive Stimme".

Und dann geht's weiter. Es geht darum, dass kleine Dinge große Auswirkungen haben können, bei sozialen Epidemien. Dass man mit dem kleinsten Anstoß was bewegen kann. Aber was, wenn jemand genau weiß, wo und wann er diesen Anstoß geben muss? Wer sind diese Leute? Was sind ihre Absichten? Welche Techniken benutzen die? Es geht darum, das Ganze mal forensisch zu untersuchen, die Ursprünge und den Umfang.

Es geht um 'n mysteriöses Bürogebäude in Miami, ein Hotel in Boston, eine perfekte Stadt, 'ne Sackgasse in Palo Alto und noch viele andere Orte. Es geht um Waldorfschulen, einen Drogenfahnder, die Rugby-Mannschaft von Harvard und 'ne Fernsehserie aus den 70ern, die die Welt verändert hat. In all diesen Fällen haben Leute Entscheidungen getroffen, bewusst oder unbewusst, die den Verlauf von irgendwelchen ansteckenden Phänomenen verändert haben. Und in jedem Fall werfen diese Eingriffe Fragen auf.

Und am Ende soll's darum gehen, die Lektionen aus all diesen Beispielen zu nutzen, um die wahre Geschichte von den drei Zeugen zu erzählen.

Der Politiker, der erste, liest dann einen Brief von 'ner Mutter aus North Carolina vor, die ihr Kind verloren hat und bis heute nicht darüber hinweg ist. Die sagt, der Schmerz ist zu groß, sie hat kaum noch Lebenswillen.

Und dann fragt der Politiker Zeuge Nummer zwei nach seiner persönlichen Reaktion auf diese Geschichten. Der fängt an zu reden, aber man hört ihn nicht. Er ist stummgeschaltet. Peinlich, ne? Das ist dann seine erste richtige Entschuldigung an dem Tag, dafür, dass er sein Mikrofon nicht eingeschaltet hat. Und dann sagt er, er empfindet großes Mitgefühl und Bedauern, dass ein Produkt, das eigentlich helfen sollte, auch mit solchen Geschichten in Verbindung gebracht wird.

"In Verbindung gebracht wird." Wieder die passive Stimme.

Es ist Zeit für 'ne harte Diskussion über Epidemien. Wir müssen unsere eigene Rolle bei der Entstehung anerkennen. Wir müssen ehrlich sein über all die subtilen und manchmal versteckten Arten, wie wir versuchen, sie zu manipulieren. Wir brauchen 'nen Leitfaden für die Fieber und Ansteckungen, die uns umgeben. Jo, das war's.

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