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Also, ich mein, es ist ja so, ne? Die Menschheit ist schon irgendwie fasziniert von sich selbst. Wir studieren unsere Geschichte, unsere Psychologie, unsere Philosophie, unsere Götter... Irgendwie dreht sich fast unser ganzes Wissen so um uns, als ob wir das Wichtigste im Universum wären, oder so. Ich glaub', deshalb mag ich die Physik so gern, weil sie halt, irgendwie, so ein Fenster öffnet, durch das wir viel weiter sehen können. Die bringt uns frische Luft, irgendwie so eine ganz neue Perspektive.
Und was wir da durch dieses Fenster sehen, ist schon ziemlich beeindruckend, muss man sagen. Wir haben schon so viel über das Universum gelernt. Und über die Jahrhunderte haben wir halt auch gemerkt, dass wir früher so viele falsche Vorstellungen hatten. Wir dachten, die Erde wär' flach, dass sie das unbewegliche Zentrum der Welt wär'. Wir dachten, das Universum wär' klein und unveränderlich. Wir dachten, wir Menschen wären irgendwie was ganz Besonderes, ohne Verbindung zu anderen Tieren. Und jetzt, jetzt kennen wir Quarks, schwarze Löcher, Photonen, Raumzeit-Fluktuationen, die unglaubliche molekulare Struktur jeder einzelnen Zelle in unserem Körper. Der Mensch ist wie ein Kind, das größer wird und mit Staunen feststellt, dass es da draußen viel mehr gibt als nur sein Kinderzimmer und seinen Spielplatz. Dass die Welt so riesig ist, dass es so viel zu entdecken gibt, so viele Perspektiven, die anders sind als das, was man zuerst dachte. Das Universum ist facettenreich, unendlich, und wir entdecken ständig neue Seiten daran. Und je mehr wir über die Welt lernen, desto mehr staunen wir über ihre Vielfalt, ihre Schönheit und auch ihre Einfachheit.
Aber, aber je mehr wir entdecken, desto mehr merken wir auch, dass das, was wir noch nicht wissen, viel, viel größer ist als das, was wir schon wissen. Je leistungsfähiger unsere Teleskope werden, desto wunderbarer und unerwarteter erscheint uns der Himmel. Je genauer wir die winzigen Details der Materie untersuchen, desto tiefer erkennen wir ihre Struktur. Wir können mittlerweile sogar den Urknall vor 14 Milliarden Jahren beobachten, diesen gewaltigen Knall, der die Entstehung aller Galaxien ermöglicht hat. Aber wir erhaschen schon einen Blick auf etwas, was noch größer ist als der Urknall. Wir erkennen, dass der Raum gekrümmt ist und dass er wahrscheinlich aus schwingenden Quantenteilchen besteht. Krass, oder?
Unser Wissen über die grundlegenden Gesetze der Welt wächst ständig. Und wenn man versucht, all das, was wir im 20. Jahrhundert über die physikalische Welt gelernt haben, zusammenzufügen, dann findet man so viele Hinweise darauf, dass die Welt ganz anders ist, als das, was wir in der Schule gelernt haben. Die grundlegende Struktur der Welt wird sichtbar: Sie besteht aus einer Menge von Quantenereignissen, in denen Zeit und Raum eigentlich gar nicht existieren. Quantenfelder bilden Raum, Zeit, Materie und Licht und tauschen Informationen zwischen Ereignissen aus. Die Realität ist wie ein Netzwerk unabhängiger Ereignisse, die durch Wahrscheinlichkeiten miteinander verbunden sind. Und zwischen zwei Ereignissen verschwinden Raum, Zeit, Materie und Energie in einer Wolke von Wahrscheinlichkeiten.
Bei der Erforschung der großen ungelösten Frage in der Grundlagenphysik, nämlich der Quantengravitation, tut sich gerade eine völlig neue Welt auf. Das Problem ist, wir haben im 20. Jahrhundert zwei große Entdeckungen in der Physik gemacht, die allgemeine Relativitätstheorie und die Quantentheorie. Aber wie bringen wir die Welt, wie wir sie durch diese beiden Theorien kennen, vernünftig zusammen? Und, joa, ich widme dieses Buch der Quantengravitation und der faszinierenden Welt, die diese Forschung offenbart.
Dieses Buch ist so eine Art Bericht aus dem aktuellen Forschungsgeschehen: über das, was wir gerade untersuchen, was wir schon wissen und was wir glauben, langsam zu verstehen. Es beginnt mit den alten Ursprüngen einiger wichtiger Konzepte, die wir heute verwenden, um die Welt zu verstehen, beschreibt die zwei großen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts, Einsteins allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, und versucht, sich auf den Kern dieser physikalischen Inhalte zu konzentrieren. Es erzählt von dem Weltbild, das sich heute in der Quantengravitationsforschung abzeichnet, und berücksichtigt dabei auch die neuesten Hinweise der Natur, wie zum Beispiel die Bestätigung des kosmologischen Standardmodells durch den Planck-Satelliten und das Ausbleiben der erwarteten supersymmetrischen Teilchen am CERN. Und es diskutiert auch die Schlussfolgerungen aus diesen Ideen: die diskrete Struktur des Raums, das Verschwinden der Zeit in kleinen Maßstäben, die Physik des Urknalls, der Ursprung schwarzer Löcher und die Bedeutung von Information in den Grundlagen der Physik.
In Platons "Staat", im siebten Buch, erzählt Platon ja diese berühmte Geschichte von den Leuten, die gefesselt in einer dunklen Höhle sitzen und nur die Schatten an der Wand sehen, die von einem Feuer hinter ihnen geworfen werden. Sie denken, das ist die Realität. Und dann befreit sich einer, entkommt aus der Höhle und entdeckt das Licht der Sonne und die größere Welt. Zuerst kann er sich nicht an das Licht gewöhnen, ihm wird schwindelig und er ist verwirrt. Aber schließlich kann er sehen, und er rennt begeistert zurück zu seinen Gefährten, um ihnen zu erzählen, was er gesehen hat. Aber die glauben ihm nicht.
Wir sitzen halt alle irgendwie in dieser Höhle, gefesselt von unserer eigenen Unwissenheit und unseren Vorurteilen. Unsere begrenzten Sinne zeigen uns nur Schatten. Und wenn wir versuchen, weiter zu sehen, dann sind wir verwirrt, weil wir das nicht gewohnt sind. Aber trotzdem müssen wir es versuchen, und das ist Wissenschaft. Wissenschaftliches Denken bedeutet, die Welt zu erforschen und neu zu beschreiben, schrittweise ein immer besseres Bild zu entwerfen, das uns lehrt, effektiver zu denken. Wissenschaft ist eine ständige Erkundung von Denkweisen. Und ihre Kraft liegt darin, mit Fantasie vorgefasste Meinungen zu überwinden, neue Aspekte der Realität aufzudecken und ein neueres, effektiveres Bild der Welt zu erstellen. Dieses Abenteuer beruht auf dem gesamten Wissen, das wir bisher gesammelt haben, aber im Kern geht es um Veränderung. Diese unendliche Welt leuchtet hell, und wir wollen sie mit eigenen Augen sehen. Wir sind fasziniert von ihrem Geheimnis und ihrer Schönheit, aber außerhalb unseres Blickfelds liegt noch unerforschtes Gebiet. Unser unvollständiges und ungenaues Wissen schwebt über dem endlosen Abgrund des Unbekannten. Aber das macht das Leben nicht sinnlos, sondern interessant und wertvoll.
Ich schreib dieses Buch, um die Wunder aufzuschreiben, die ich auf dieser Reise gesehen habe. Ich hab da so einen bestimmten Leser vor Augen: Jemand, der vielleicht noch nicht so viel über die heutige Physik weiß, aber der gerne entdecken möchte, wie die Welt aufgebaut ist, was wir schon wissen und was wir noch nicht verstehen, und woran gerade geforscht wird. Ich möchte das ganze Bild der Realität, wie ich es aus dieser Perspektive sehe, und seine beeindruckende Schönheit vermitteln.
Ich hab dieses Buch auch für meine Kollegen, für Gleichgesinnte auf der ganzen Welt und für junge Menschen geschrieben, die sich für Wissenschaft begeistern und die diese Reise gerade erst beginnen wollen. Mit dem Licht der Relativitätstheorie und der Quantenphysik versuche ich, die groben Umrisse der Struktur der physikalischen Welt zu zeichnen und die beiden Theorien zu vereinen. Dieses Buch soll nicht nur Fakten vermitteln, sondern auch eine Perspektive aufzeigen, denn die abstrakte Fachsprache der Physik kann manchmal den Blick auf das große Ganze verdecken. Wissenschaft besteht aus Experimenten, Hypothesen, Formeln, Berechnungen und Diskussionen. Aber das sind nur Werkzeuge, wie die Instrumente eines Musikers. So wie es in der Musik um die Musik selbst geht, so geht es in der Wissenschaft um das Verständnis der Welt, das sie uns vermittelt. Um zu verstehen, wie wichtig die Erkenntnis ist, dass sich die Erde um die Sonne dreht, muss man nicht die komplizierten Berechnungen von Kopernikus verstehen. Um zu verstehen, wie wichtig die Erkenntnis ist, dass alle Lebewesen auf der Erde einen gemeinsamen Vorfahren haben, muss man nicht die komplexen Argumentationen in Darwins Buch verstehen. Wissenschaft bedeutet, die Welt mit einer immer weiteren Perspektive zu interpretieren.
Wir sind gerade dabei, ein ganz neues Bild der Welt zu erforschen, und dieses Buch ist eine Art Bericht über den aktuellen Stand der Forschung. Irgendwann mal, an einem Sommerabend, bin ich mit einem Kollegen und Freund am Ufer entlang spaziert, und er hat mich gefragt: "Na, was denkst du denn, was das Wesen der Dinge wirklich ist?" Und dieses Buch ist sozusagen meine Antwort auf diese Frage.