Chapter Content

Calculating...

Okay, los geht's. Kapitel Fünfzehn, oder so. Prokrastination ist nicht der Feind. Ja, genau. Kennen wir doch alle, oder? Man schiebt was vor sich her, und denkt sich: "Mensch, warum mach ich das jetzt nicht einfach?" Besonders, wenn's was ist, was man sich eigentlich selbst ausgesucht hat, so ne Art Projekt oder so. Und dann geht man ins Internet, und da gibt's tausend Ratschläge, wie man Prokrastination bekämpfen kann. Aber, äh, ob die wirklich helfen?

Viele von diesen Tipps basieren ja auf Selbstdisziplin. Hatte mal nen Freund, der hat das "White-knuckling" genannt. Also, so richtig zusammenkneifen, und hoffen, dass die Willenskraft siegt. Oder andere sagen: "Du musst dich selber zwingen, das Richtige zu tun." Mit Strafen, wenn man's nicht schafft. Oder diese Ulysses-Technik, wo man sich quasi selbst fesselt, wie in Homers Odyssee, damit man den Sirenen der Ablenkung widerstehen kann. Victor Hugo, der hat sich von seinem Personal sogar die Klamotten verstecken lassen, damit er das Haus nicht verlassen konnte, bis er mit dem Schreiben fertig war. Krass, oder? Und der Gründer von so ner Online-Community für Unternehmer, der hat mir erzählt, er hat sich verpflichtet, Geld an ne politische Partei zu spenden, die er hasst, wenn er seine Ziele nicht erreicht. Wahnsinn, oder? Man kann sogar so ne Art "digitale Fessel" kaufen. Es gibt Startups, die verkaufen Boxen mit nem Schloss, damit man sein Handy wegsperren kann, während man arbeitet.

Selbst die vernünftigeren Ratschläge zielen ja darauf ab, die Prokrastination zu überwinden, und wieder an die Arbeit zu gehen. Zeit im Kalender blocken, in kleinere Schritte aufteilen, Timer stellen, oder nen Accountability-Partner finden. Alles, um den Geist zurück in die Flasche zu bekommen, und die Kontrolle zu haben. Aber wir wissen ja, dass das meistens nicht so wirklich klappt. Man blockt Zeit, aber schaut dann doch nicht in den Kalender. Man stellt nen Timer, ignoriert ihn aber. Und den Accountability-Partner, den trifft man dann auch irgendwann nicht mehr. Erst sagt man, es gab nen Notfall, und dann lässt man's einfach schleifen.

Und, ja, es gibt nen Grund, warum diese Methoden nicht funktionieren. Und das hat nix mit Faulheit oder mangelnder Disziplin zu tun. Die scheitern, weil sie die Ursache der Prokrastination falsch interpretieren.

"Tod durch zwei Pfeile", das ist so ein schönes Bild, finde ich. Virginia Woolf hat mal in ihrem Tagebuch geschrieben: "So einen guten Schreibvormittag hatte ich geplant, und habe das Beste meines Gehirns am Telefon verschwendet." Und schon vor über zweitausend Jahren hat der griechische Dichter Hesiod geschrieben: "Verschiebe deine Arbeit nicht auf morgen und übermorgen, denn ein träger Arbeiter füllt seine Scheune nicht, noch einer, der seine Arbeit aufschiebt: Fleiß lässt die Arbeit gut gehen, aber ein Mann, der die Arbeit aufschiebt, liegt immer mit dem Ruin im Hader."

Diese Worte, "verschwendet" und "Ruin", die zeigen, wie wir Prokrastination seit Jahrtausenden sehen. Als Charakterschwäche, die gegen die Werte unserer Gesellschaft verstößt: Fleiß und Verantwortung. Als unerwünschte Eigenschaft, die Zweifel an Zuverlässigkeit und Engagement weckt. Bei Produktivität ist Prokrastination Staatsfeind Nummer eins. Diese negative Einstellung ist aber kontraproduktiv, und macht das Ganze nur noch stressiger.

Wie in den Lehren Buddhas gibt's da zwei Pfeile. Der erste Pfeil ist die Prokrastination selbst. In Form von unzähligen Aktivitäten, denen wir uns zuwenden, um unsere Aufgaben zu vermeiden. Scrollen statt lernen, Fernsehen statt arbeiten, Shoppen statt schreiben. Prokrastination ist vielleicht nicht neu, aber die Anzahl und Attraktivität der Ablenkungen ist heute riesig. Wie ne Armee von Sirenen, verstärkt und autotuned. Das Problem geht aber tiefer als nur der Wunsch, die neueste Serie zu suchten.

Diesen ersten Pfeil könnte man überleben. Aber der zweite Pfeil, der ist der eigentliche Killer. Und das ist nicht die Prokrastination selbst, sondern unsere emotionale Reaktion darauf. Studien haben gezeigt, dass negative psychologische Reaktionen wie Angst und Scham oft mit Prokrastination einhergehen. Kein Wunder, denn wir haben ja gelernt, dass Prokrastination bedeutet, wertlos zu sein. Dr. Tim Pychyl, einer der führenden Experten für Prokrastination, hat mal gesagt: "Es gibt nichts Schlimmeres als die Abwärtsspirale der Prokrastination, die einem das Gefühl gibt, ein absolutes Versagen zu sein. Deshalb ist Schuld das stärkste Gefühl, das mit Prokrastination verbunden ist."

Obwohl wir also nichts lieber wollen, als die Prokrastination hinter uns zu lassen, befinden wir uns in der denkbar schlechtesten psychologischen Verfassung, um das zu tun. Statt ruhig und selbstbewusst fühlen wir uns frustriert, im Krieg mit unserem Selbstbild. Was wäre, wenn wir diesen zweiten Pfeil durch Neugier ersetzen würden?

Um die Beziehung zur Prokrastination zu ändern, müssen wir ihre wahre Natur verstehen. Dank wissenschaftlicher Forschung wissen wir jetzt, dass Prokrastination kein moralisches Versagen ist, sondern ein Hörfehler. Und deshalb ist es kontraproduktiv, zu versuchen, Prokrastination zu "besiegen".

Stellt euch euer Gehirn wie ein Team vor, das zusammenarbeitet, um Entscheidungen zu treffen und Dinge zu erledigen. Manche Aufgaben erfordern mehr Teamwork als andere. Das limbische System und das frontoparietale Netzwerk sind zwei wichtige Spieler in diesem Team. Das limbische System, ein Netzwerk von Gehirnstrukturen wie Amygdala und Hippocampus, ist das leidenschaftliche Teammitglied, das eine Schlüsselrolle bei unseren emotionalen Reaktionen spielt, und mit anderen Hirnarealen für komplexe emotionale Verarbeitung interagiert. Es ist einer der ältesten und dominantesten Teile des Gehirns, und seine Prozesse laufen meist automatisch ab. Es kann uns dazu bringen, aufgrund des Wunsches nach sofortiger Befriedigung oder Schutz zu handeln. Dann haben wir das frontoparietale Netzwerk, das strategische und gewissenhafte Teammitglied, das uns hilft, uns zu konzentrieren, Probleme zu lösen, komplexe Entscheidungen zu treffen und vorauszudenken.

Forscher haben sich die weiße Substanz der Gehirne von über neunhundert Menschen angeschaut, und festgestellt, dass Prokrastination mit bestimmten Mustern der Gehirnkonnektivität zusammenhängt. Eines davon ist eine schwächere Verbindung zwischen dem limbischen System und dem frontoparietalen Netzwerk. Obwohl Prokrastination oft als Kampf zwischen dem gegenwärtigen und dem zukünftigen Selbst dargestellt wird, bei dem es um die Berechnung der Kosten und Belohnung geht, etwas jetzt zu tun, oder später, sollte sie eigentlich als schlechte Teamarbeit zwischen unserem emotionalen und unserem rationalen Selbst beschrieben werden.

Ein Großteil des Leids, das wir beim Prokrastinieren empfinden, rührt daher, dass wir sie als Feind betrachten, den wir bekämpfen und überwinden müssen, statt als Partner, den wir verstehen und mit dem wir zusammenarbeiten können. Das Problem mit Prokrastination ist nicht, dass man faul war. Das Problem ist, dass man den Boten erschossen hat.

Schauen wir mal, was passiert, wenn wir einen anderen Ansatz wählen. Wenn wir langsamer werden, um auf die Signale aller Teammitglieder in unserem Gehirn zu hören, und sie ermutigen, zusammenzuarbeiten.

"Don't shoot the messenger", sagt man ja so schön. Ironischerweise hat es bei mir ewig gedauert, bis ich mit dem Schreiben dieses Kapitels angefangen habe. Stattdessen habe ich nen Förderantrag fertiggestellt, meine Notizen aufgeräumt, gelernt, wie man ein neues KI-Transkriptionstool benutzt, und sogar kleine Avatare für meine Teammitglieder erstellt, damit wir sie in öffentlichen Materialien verwenden können. Es war eine der produktivsten Wochen des Jahres. Nur das, was ich eigentlich machen sollte, das hab ich nicht gemacht. Den Entwurf für dieses Kapitel schreiben.

Jemandem, der sich schlecht fühlt, zu raten, sich einfach aufzuheitern, bringt ja auch nix. Genauso wenig bringt es, sich selbst zu sagen: "Mach es einfach", wenn man prokrastiniert. Wenn man die Quelle dieses blöden Gefühls unterdrücken will, dann beraubt man sich wertvoller Informationen. Man tappt im Dunkeln, steckt fest in nem Kreislauf aus Untätigkeit und Frustration.

Nachdem ich ein paar Tage lang versucht habe, an diesem Kapitel zu arbeiten, habe ich beschlossen, die Signale, die mir die Prokrastination schicken wollte, nicht mehr zu ignorieren. Die Anspannung, die ich gespürt habe, war komisch. Ich hatte ja schon viel über Prokrastination gelesen und geschrieben. Ich dachte, das Kapitel wird ein Klacks. Und trotzdem hatte ich Probleme. Was war da los?

Ich hab meine Feldnotizen rausgeholt, und angefangen, meine Reaktionen zu beobachten, wenn ich das Dokument geöffnet hab. Und da sind ein paar Verhaltensmuster aufgetaucht. Sobald ich mich hingesetzt hab, um Forschungsarbeiten zu lesen, hab ich meine E-Mails gecheckt, um zu sehen, ob was Dringendes da ist. Dann hab ich meine To-Do-Liste durchgesehen, um ne dringendere Aufgabe zu finden. Hauptsache, ich hab mich zu beschäftigt gefühlt, um an diesem Kapitel zu arbeiten.

Dann hab ich tiefer gegraben, und gemerkt, dass diese Vermeidung von nem Gefühl der Unzulänglichkeit herrührt. Wie konnte ich über ne Herausforderung schreiben, die ich ja selbst immer noch oft erlebe? Außerdem hatte ich das Gefühl, dass es nicht reicht, sich nur auf Forschungsarbeiten zu verlassen, nachdem ich so viele tolle Gespräche über Prokrastination geführt hatte. Die wissenschaftliche Literatur zusammenzufassen, der akademische Ansatz, in dem ich ausgebildet wurde, würde nicht ausreichen. Ich musste mit Leuten reden.

Also hab ich aufgehört, Paper zu lesen, und angefangen, Interviews zu führen, um echte Prokrastinations-Geschichten zu sammeln. Ich hab gefragt: Wie fühlt es sich an, wenn du prokrastinierst? Was ist deine erste Reaktion?

Als ich aufgehört hab, den Boten zu erschießen, also zu versuchen, es "einfach zu machen", da hat sich die Prokrastination als hilfreicher Freund entpuppt. Als ich den Widerstand als Beweis gesehen hab, hat er mir geholfen zu verstehen, warum es so schwer war, dieses Kapitel zu schreiben. Und als ich dann angefangen hab, mit Leuten zu reden, da konnte ich die Arbeit nicht mehr länger aufschieben. Jedes Gespräch hat mir Energie gegeben, und ich wollte mehr lernen. Die Einblicke in die reale Welt wurden zum Treibstoff für Fragen, die ich mit der Forschung weiter untersuchen konnte. Und das Verständnis für die Ursache meines Widerstands hat meine Herangehensweise an das Schreiben dieses Buches komplett verändert. Statt mich nur auf wissenschaftliche Studien zu verlassen, wollte ich auch Geschichten sammeln, und die kollektive Intelligenz meiner Community nutzen.

Genauso wie ich die Quelle meines Widerstands erforscht hab, statt mich davon zurückzuziehen, könnt ihr eure Prokrastination mit Freundlichkeit und Neugier untersuchen. Fühlt ihr euch plötzlich müde, wenn ihr versucht, mit ner bestimmten Aufgabe anzufangen? Vermeidet ihr es, an nem Projekt zu arbeiten, indem ihr über die Tools lest, die ihr vielleicht später mal braucht? Blockt ihr Zeit im Kalender, nur um dann eure geplanten Arbeitssitzungen zu ignorieren?

Wenn ihr diese Fragen ohne zu urteilen stellt, und die Antwort konstruktiv interpretiert, dann kann Prokrastination ein hilfreicher Indikator sein. Der euren inneren Monolog von Selbstvorwürfen zu Selbstentdeckung verschiebt.

Vielleicht schiebt ihr das Schreiben eines Berichts auf, weil ihr Angst habt, dass er nicht perfekt wird. Vielleicht vermeidet ihr ein Projekt, weil ihr nicht wisst, wo ihr anfangen sollt, oder weil es euch nicht begeistert. Oder vielleicht ist die Aufgabe so gestaltet, dass sie unnötig überwältigend ist.

Prokrastination ist kein Zeichen von Faulheit oder mangelnder Disziplin, sondern ein Hinweis auf psychologische Hürden, die angegangen werden müssen.

"The Triple Check", so nenn ich das. Wenn man zur grundlegendsten Definition zurückgeht, dann bedeutet Prokrastination ja, nicht das zu tun, was man eigentlich tun sollte. Und wie wir gesehen haben, ist das keine neutrale Erfahrung. Weil wir uns selbst die Schuld geben, gegen unser besseres Wissen zu handeln, geht Prokrastination meist mit Gefühlen von Scham und Schuld einher.

Diese Gefühle werden durch das Wort "sollte" verursacht, das wie ein Diktator über einem thront, und verlangt, dass man seine Pflicht erfüllt. Die Philosophin Susanna Newsonen sagt dazu: "Sollte ist eine schambasierte Aussage, die Stress und Angst in Körper und Geist erzeugt." Der ungelöste Konflikt zwischen Erwartungen und Handlungen, zwischen nem idealisierten Bild von sich selbst und der aktuellen Realität des eigenen Verhaltens, führt zu emotionalem Stress und vermindertem Selbstwertgefühl.

Wenn wir prokrastinieren, dann bleiben wir auf dieser ersten Ebene der Analyse stecken: Wir sollten was tun, aber wir tun es nicht. Wir schieben dieses widersprüchliche Verhalten auf nen Fehler in unserem Charakter. Statt uns selbst so zu verurteilen, könnten wir uns aber ne wichtige Frage stellen:

Warum prokrastinierst du?

Diese Frage zu beantworten, ist wie bei nem Detektivspiel, wo man die Details eines Verbrechens herausfinden muss. Zum Glück ist die Liste der möglichen Erklärungen für eure Prokrastination viel kürzer. Die Gründe, warum ihr prokrastiniert, lassen sich in drei Kategorien einteilen: Sie können aus eurem Kopf, eurem Herzen oder eurer Hand kommen.

Dieser Gedanke stammt von Johann Heinrich Pestalozzi, der 1746 in Zürich geboren wurde. Pestalozzi sollte eigentlich Pfarrer werden. Aber als er das Werk des Philosophen Jean-Jacques Rousseau gelesen hat, hat das seinen Berufsweg für immer verändert. Er war überzeugt, dass Bildung allen zugänglich sein sollte, unabhängig von ihrer sozialen oder wirtschaftlichen Stellung. Er machte es sich zur Aufgabe, eine inklusive Bildung in der Schweiz zu fördern. Das war damals ne radikale Idee, da Bildung oft den Reichen vorbehalten war. Pestalozzi fasste seinen Glauben an eine ganzheitliche Bildung mit nem Motto zusammen: "Lernen mit Kopf, Hand und Herz."

Jahrhunderte später hat Professor Hugo M. Kehr dieses Motto für seine Forschung in der Motivationspsychologie übernommen. Er hat entdeckt, wie die menschliche Motivation aus dem Zusammenspiel von rationalen (Kopf), affektiven (Herz) und praktischen (Hand) Faktoren entsteht. Rationale Faktoren sind bewusste Motive. Das ist euer Kopf, der euch sagt, was er für richtig hält. Die affektiven Faktoren sind eure unbewussten Motive. Das ist euer Herz, das euch sagt, was sich gut oder nicht so gut anfühlt. Und die praktischen Faktoren beziehen sich auf eure wahrgenommenen Fähigkeiten. Die Fähigkeiten, Kenntnisse und Werkzeuge, von denen ihr glaubt, dass ihr sie braucht, um die Handlung auszuführen. Das ist eure Hand, die euch sagt, was sie glaubt, dass sie kann.

Die Arbeit von Professor Kehr konzentriert sich zwar auf Motivationstheorien, und erwähnt Prokrastination nicht explizit, aber mit ein paar Anpassungen können wir sie für unsere Detektivarbeit nutzen. Wenn ihr prokrastiniert, dann fragt euch, ob es aus dem Kopf, dem Herzen oder der Hand kommt:

Kopf: "Ist die Aufgabe angemessen?"

Herz: "Ist die Aufgabe spannend?"

Hand: "Ist die Aufgabe machbar?"

Wenn ihr schon ne Weile was aufschiebt, könnt ihr nen kurzen mentalen Check machen, um diese Fragen zu beantworten. Bei längeren Prokrastinationsphasen nehme ich gerne mein Tagebuch oder meine Notiz-App zur Hand, und schreibe es auf. Das hilft mir, die verschiedenen Faktoren der Prokrastination zu entwirren, und tiefer zu graben, warum das passiert. Ich nenne das den "Triple Check".

"Kopf" also. Schauen wir uns die erste Frage an: "Ist die Aufgabe angemessen?" Ihr wollt herausfinden, ob dieser Kurs der weiseste ist. Wenn die Antwort "Nein" oder "unklar" ist, dann seid ihr skeptisch gegenüber dem Nutzen der Aufgabe. Bei kleinen Aufgaben ohne Abhängigkeiten, also Aufgaben, die nicht mit anderen Aufgaben verbunden sind, streicht sie von eurer To-Do-Liste. Das ist ne einfache Möglichkeit, eure wertvolle Energie zu sparen.

Bei größeren Aufgaben müsst ihr tiefer graben. Sagen wir mal, ihr schiebt es auf, ein YouTube-Video aufzunehmen. In solchen Fällen schreibt auf, warum ihr denkt, dass diese Aufgabe nicht der richtige Ansatz ist. Passt das Thema nicht zum Thema eures YouTube-Kanals? Ist es zwar beliebt, aber nicht intellektuell anregend für euch? Haben aktuelle Branchenereignisse eure geplanten Inhalte überholt? Nachdem ihr die Gründe identifiziert habt, überdenkt eure Strategie, um sicherzustellen, dass die Aufgabe mit euren aktuellen Prioritäten und der Wirkung übereinstimmt, die ihr erzielen wollt.

James Clear, der Autor des Bestsellers "Atomic Habits", gibt ein gutes Beispiel dafür. Der Anfang seiner Karriere war es, jeden Montag und Donnerstag nen neuen Artikel zu schreiben. Das hat er drei Jahre lang durchgezogen. Aber nachdem sein Buch rausgekommen ist, hat er nen Widerstand gespürt, als er den zweiwöchentlichen Newsletter schreiben sollte. Nach einigem Nachdenken hat er beschlossen, dass das Versenden des Newsletters immer noch wichtig ist, aber dass sich seine Strategie ändern muss. Statt einfach zurückzuschrauben, oder sein bisheriges Format zu verwässern, hat er sich Zeit genommen, um mögliche Alternativen zu finden.

Er hat mir erzählt: "Nachdem das Buch rausgekommen ist, hab ich mich zurückgezogen, und gemerkt, dass ich nen anderen Newsletter-Stil brauche. Ich hab darüber nachgedacht, ob es ne Version gibt, die ich in nur ein oder zwei Stunden pro Woche erstellen kann, die nicht nur die gleiche Qualität hat wie das, was ich bisher gemacht habe, sondern sogar besser ist. Ich war überzeugt, dass es unter den unzähligen Möglichkeiten etwas Besseres als meinen jetzigen Ansatz geben muss, das trotzdem in meinen Zeitrahmen passt." Dieser Prozess hat zu seinem 3-2-1-Newsletter geführt. Drei Ideen von James, zwei Zitate von anderen, und eine Frage an den Leser. Ein viel kürzeres Format, das jetzt Millionen von Lesern hat.

Ihr könnt vielleicht nicht immer selbst entscheiden, wie ihr mit nem Projekt vorgehen sollt. Manche Leute erwarten vielleicht n bestimmtes Ergebnis von euch, und ihr müsst euch mit ihnen absprechen, bevor ihr die Strategie ändert. Trotzdem ist es wichtig, dass ihr versteht, warum ihr Vorbehalte habt. Nur dann könnt ihr diese Bedenken mit eurem Team, euren Kunden oder anderen Beteiligten besprechen. Den Widerspruch zwischen dem Ziel und der Aufgabe anzusprechen, ist wichtig, um konstruktive Gespräche zu führen, und die Strategie gemeinsam zu überdenken. Das erfordert vielleicht schwierige Diskussionen, aber es wird langfristig schwieriger, wenn ihr die Prokrastination nicht als hilfreiches Signal betrachtet, das ernst genommen werden sollte.

So, und jetzt zum "Herz". Wenn die Strategie auf dem Papier gut ist, dann liegt das Problem vielleicht an euren unbewussten Gefühlen. Fragt euch: "Ist die Aufgabe spannend?" Das ist ne tolle Frage, um herauszufinden, was ihr fühlt. Öffnet eure Notizen, und schreibt eure Antwort auf. Die mangelnde Begeisterung kann an Angst, Langeweile oder Ärger liegen. Oder vielleicht passt die Aufgabe einfach nicht zu eurer persönlichen Definition von Spaß. Weil sie sich langweilig anfühlt, prokrastiniert ihr. Obwohl ihr rational festgestellt habt, dass ihr die Aufgabe machen wollt.

In vielen Fällen werden unsere Gefühle schnell klar, und es reicht aus, sie zu benennen, um uns zu befreien. Das nennt man "Affective Labeling". Aber wenn das Problem tiefer liegt, dann braucht ihr vielleicht nen introspektiveren Ansatz. Stellt nen Timer auf zehn Minuten, und schreibt einfach alles auf, was euch zu der Aufgabe einfällt. Lasst eure Gefühle ohne zu urteilen oder zu bearbeiten fließen. Und dann schaut euch an, ob es Muster gibt. Zum Beispiel, ob negative Gefühle auftreten, wenn die Aufgabe ne bestimmte Person, Situation oder Thema beinhaltet. Oder ob die Angst, die ihr habt, mit nem vergangenen Ereignis zusammenhängt. Vielleicht verursacht Perfektionismus Versagensängste. Oder es gibt etwas in eurer Vergangenheit, was euch belastet.

Je stärker die Gefühle, desto größer die Versuchung, sie zu unterdrücken. Aber desto wichtiger ist es, dass ihr euch diesen Gefühlen mit Neugier nähert, statt euch selbst die Schuld zu geben. Nibras Ib, ein Produktdesigner und Stratege, hat mir erzählt: "Bei großen Projekten spielen Emotionen ne große Rolle. Mittlerweile achte ich darauf, wenn die Vermeidung anfängt. Ich hab schon sieben Mal versucht, meinen Laptop aufzuklappen, und jedes Mal steh ich dann woanders im Raum. Wenn das n Kind machen würde, würde ich es nicht beschimpfen. Stattdessen würde ich es beobachten, und fragen: Was macht es da? In welchem Moment steht es auf, und verlässt seinen Laptop? Was macht es, nachdem es aufgestanden ist?"

Wenn ihr diese Übung ein paar Mal gemacht habt, dann werdet ihr besser darin, zu erkennen, wie euer Herz euer Verhalten beeinflusst. Ich hab zum Beispiel früher immer die Vorbereitung von Präsentationsmaterialien bis zur letzten Minute aufgeschoben. Nachdem ich ein paar Mal darüber geschrieben hatte, weiß ich jetzt, dass meine Angst vor öffentlichen Reden dahinter steckt. Jetzt kann ich das Schreiben überspringen, und mir stattdessen Mut zusprechen, oder mich bewusst bewegen, was mir hilft, mit der Arbeit fortzufahren.

Bei Gefühlen, die stärkeren Widerstand auslösen, könnt ihr die sogenannte "Pairing-Methode" anwenden. Wenn die Aufgabe sinnvoll ist, sich aber langweilig anfühlt, dann kombiniert sie mit ner angenehmen Aktivität. Ihr könnt eure E-Mails im Lieblingscafé checken, eure Steuererklärung machen, während ihr eure Lieblingsband hört, oder die Aufgabe zu nem Spiel machen, indem ihr euch für jeden abgeschlossenen Abschnitt belohnt. Wenn sich die Aufgabe entmutigend anfühlt, dann könnt ihr euch mit nem Freund zum Co-Working verabreden, um euch gegenseitig zu unterstützen, und euer Selbstvertrauen zu stärken.

Und jetzt zur "Hand". Die letzte Frage, "Ist die Aufgabe machbar?", scheint die einfachste zu sein. Vielleicht habt ihr ja schon Fähigkeiten aus anderen Projekten, die ihr auf diese neue Herausforderung übertragen könnt. Und wenn ihr nicht glaubt, dass die Aufgabe mit eurem jetzigen Wissen und euren Tools machbar ist, dann könnt ihr das Problem beheben, indem ihr euch diese Ressourcen besorgt. Fragt rum, ob euch ein Freund, Kommilitone oder jemand aus eurem Team helfen kann. Ob sie euch quasi "unter die Arme greifen" können. Wenn nicht, dann könnt ihr nen Online-Kurs belegen, oder euch nen Coach suchen.

Aber Vorsicht: Achtet darauf, ob ihr das Lernen nicht als Prokrastination tarnt. Manchmal ist das, was wir für fehlende Fähigkeiten halten, eigentlich mangelndes Selbstvertrauen. Bücher zu lesen oder Podcasts zu hören, bringt nichts, solange ihr das Wissen nicht auf die Aufgabe anwendet, die ihr aufgeschoben habt. Deshalb ist es oft am besten, sich Input von ner erfahrenen Person zu holen. Die wird den Umfang dessen, was ihr lernen müsst, eingrenzen, und vielleicht sogar feststellen, dass ihr schon genug wisst, um anzufangen.

Wenn ihr die Quelle eurer Prokrastination identifiziert, dann könnt ihr euch von Selbstvorwürfen befreien, und euch selbst besser kennenlernen. Die Fragen liefern sowohl ne Erklärung, als auch ne praktische Lösung. Ist die Aufgabe angemessen, spannend und machbar? Wenn ihr alle drei Fragen mit "Ja" beantworten könnt, dann sind Kopf, Herz und Hand im Einklang. Ich nenne diesen harmonischen Zustand "Aligned Aliveness". Dann ist es nicht nur einfach anzufangen, sondern auch viel einfacher, dranzubleiben.

Wenn einer oder mehrere dieser Punkte fehlen, dann werdet ihr nen inneren Kampf führen, und versuchen, euch mit Willenskraft durchzusetzen. Aber diesen Kampf werdet ihr verlieren.

Sobald ihr merkt, dass es nen Widerspruch zwischen eurem Kopf, eurem Herzen und eurer Hand gibt, dann betrachtet das als Signal, eure Herangehensweise zu überdenken.

Was passiert, wenn Kopf, Herz und Hand perfekt aufeinander abgestimmt sind, und ihr trotzdem prokrastiniert? Dann solltet ihr überlegen, ob das Problem nicht in euch selbst liegt, sondern in dem System, in dem ihr arbeitet.

Amy, ne Krankenschwester aus North Carolina, hat auf nen Aufruf von mir geantwortet, um über diese Themen zu diskutieren. Krankenschwester zu sein war für sie nicht nur n Beruf, sondern ne sinnvolle Aufgabe, mit der sie das Leben der Menschen verbessern konnte. Sie hatte n echtes Interesse am Wohlbefinden ihrer Patienten, und hat es geliebt, sich um sie zu kümmern. Sie hat sogar ihren Master gemacht, während sie gearbeitet hat, weil sie ihre Fähigkeiten erweitern wollte.

Aber auch Krankenschwestern prokrastinieren manchmal. Sie hat erzählt: "Ich hab oft gedacht, ich muss jetzt die Medikamente verteilen. Aber statt pünktlich zu sein, hab ich mich mit anderen Krankenschwestern unterhalten, und mich entspannt." Das klingt harmlos, aber es war schwer für Amy, darüber zu reden, weil das Verhalten so im Widerspruch zu ihrer Hingabe an die Patientenversorgung stand. Sie hat sich dafür geschämt, aber sie hat es trotzdem manchmal getan. Und immer hat sie sich selbst die Schuld gegeben.

Amy hat nie darüber nachgedacht, dass sie vielleicht nen berechtigten Grund dafür hatte, sich ne kurze Auszeit zu nehmen. Im Laufe der Jahre ist die Anzahl der Patienten, die ne einzelne Krankenschwester betreuen musste, immer weiter gestiegen. Dann kam die Pandemie, und die Krankenhäuser waren voll mit Patienten, die dringend Hilfe brauchten. Die kurze Zeit, um mit Kollegen zu tratschen, war ihre einzige Chance, in dieser stressigen Umgebung wieder ins Gleichgewicht zu kommen. In nem System, das die Krankenschwestern fast ständig überlastet, war die Prokrastination kein Zeichen von persönlicher Ineffizienz, sondern ne wichtige Art der Selbstfürsorge.

Erst als sie während der Pandemie nen Patienten verloren hat, teilweise weil sie überlastet war, haben Amy und andere angefangen zu denken: Das ist kein persönliches Versagen, sondern n systemisches Versagen. Schon bevor die Patientenzahlen gestiegen sind, hat die Arbeitsplatzkultur Krankenschwestern gefeiert, die sich mit mehr Verantwortung und längeren Arbeitszeiten bis zum Äußersten getrieben haben. Amy hat sich oft freiwillig gemeldet, um Wochenenden und Nachtschichten zu übernehmen. Sich frei zu nehmen, war verpönt. Das System war darauf ausgelegt, den Krankenschwestern jede Energie zu entziehen. Gleichzeitig sorgten die ständig steigenden Produktivitätsanforderungen dafür, dass ihre Bemühungen nie ganz ausreichten.

Amy hat überdacht, wie sich das System auf ihre psychische Gesundheit auswirkt, und ihren Job im Krankenhaus gekündigt, um ne administrative Position zu übernehmen. Als sie gegangen ist, hatte sie dreihundert Stunden ungenutzten bezahlten Urlaub angesammelt. Sie hat gesagt, dass sie bereit war, so offen mit mir zu sein, obwohl es ihr unangenehm war, weil sie es für wichtig hielt, ehrlich über die Realität zu sprechen, in der Hoffnung, ne dringend benötigte Diskussion anzustoßen. Und letztendlich ne systemische Veränderung zu bewirken.

Weil Prokrastination so lange als moralisches Versagen galt, ist es leicht, die Herausforderungen zu verinnerlichen, die sie mit sich bringt. Aber wenn Kopf, Herz und Hand im Einklang sind, und ihr trotzdem nicht weiterkommt, dann sucht die Antworten außerhalb von euch. Sobald ihr die systemischen Hindernisse erkannt habt, könnt ihr euch Unterstützung von Kollegen, Vorgesetzten oder professionellen Netzwerken suchen, um Veränderungen zu bewirken. Alternativ könnt ihr euch dafür entscheiden, eure psychische Gesundheit in den Vordergrund zu stellen, und das System verlassen, so wie Amy es getan hat. Auch das ist ne gute Wahl, um sicherzustellen, dass Kopf, Herz und Hand in anderen Bereichen in Einklang sind.

Manchmal kann Prokrastination helfen, unsere angeborenen Neigungen zu entdecken. Neben der Diagnose, warum ihr prokrastiniert, könnt ihr euch nen Moment Zeit nehmen, um zu überlegen, was ihr oft macht, wenn ihr was aufschiebt. Lest ihr über n bestimmtes Thema, geht ihr nem Hobby nach, oder wie Amy, nehmt ihr Kontakt zu anderen Menschen auf?

Das mag wie ne Ablenkung aussehen, aber es kann euch etwas Wichtiges über euch selbst verraten, und euch auf nen spannenden Weg führen, den ihr erkunden könnt. Vielleicht ist es sogar Zeit für nen neuen Pakt.

Wenn ihr ständig Videos über Heimwerkerprojekte anschaut, während ihr andere Aufgaben vermeidet, dann deutet das vielleicht auf n verstecktes Interesse an Innenarchitektur hin. Wenn ihr oft zum Kochen greift, wenn die Prokrastination zuschlägt, dann überlegt, mehr Zeit dafür zu investieren, etwas über die Kochkunst zu lernen. Diese Aktivitäten sind nicht nur Ablenkungen, sondern oft Ausdruck eurer echten Interessen.

Wenn ihr gelernt habt, ihre Botschaft zu verstehen, dann ist Prokrastination keine Barriere mehr für Produktivität, sondern n Tor zur Selbstentdeckung. Ja, so kann man das sagen.

Go Back Print Chapter