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Okay, lass mal sehen... Also, "Psychologie-Krieger"... ganz ehrlich, klingt schon 'n bisschen komisch, ne? Aber gut, schauen wir mal, was da so drin steht.
Also, 19... irgendwann im Herbst, da war dem Daniel wohl klar, dass diese Freundschaft mit dem Amos, die würden die anderen nie so richtig schnallen, ne? Die hatten da 'n Seminar zusammen an der Uni gegeben, und das war wohl, naja, eher so 'ne Katastrophe, irgendwie. Wenn die beiden vor 'ner Gruppe standen, war's irgendwie anders als sonst. Da war nix mehr von der Wärme, die er sonst vom Amos kannte. "Wir waren irgendwie nicht auf einer Wellenlänge," hat der Daniel wohl gesagt. "Wir haben uns entweder gegenseitig unterbrochen, uns gegenseitig verarscht oder uns gestritten. Niemand hat uns je zusammenarbeiten sehen." Ja, klingt fast wie 'ne Beziehung, ne? Also, ohne das Sexuelle jetzt. Die waren halt enger als mit irgendjemand anderem. Das haben wohl zuerst die Frauen gemerkt. Die Barbara, die Frau vom Amos, die hat gesagt, die wären "enger als Ehepaare." Sie meinte wohl, die waren total fasziniert voneinander, von der Intelligenz des anderen, so 'ne Art Schicksalsgemeinschaft. Der Daniel hat wohl gemerkt, dass seine Frau das nicht so geil fand, und der Amos, der hat dann der Barbara immer gesagt, dass sie das ja alles total gut händelt. Der Daniel meinte, dass er mit dem Amos 'n Gefühl hatte, das er sonst nie hatte, so 'ne Art... ja, Faszination. Er war halt von dem total eingenommen.
Aber der Amos, der war wohl derjenige, der diese Freundschaft am meisten gepusht hat. Der Daniel meinte, er wäre eher so 'n Typ, der sich zurückzieht, der Abstand hält, weil er Angst hatte, was passiert, wenn der Amos mal nicht mehr da ist. Versteh ich total, ehrlich gesagt.
Dann ging's wohl los mit dem Krieg. Ägypten und Syrien haben Israel angegriffen, und zwar genau am Yom Kippur, dem jüdischen Versöhnungstag. Das war wohl so gegen vier Uhr morgens kalifornischer Zeit. Die haben wohl die Israelis total überrascht. Der Amos und der Daniel waren damals noch in den USA, die wollten da Experten für Entscheidungsanalyse werden. Aber als die das gehört haben, sind die sofort zum Flughafen gerannt und haben den nächsten Flieger nach Paris genommen. Die Schwester vom Daniel hat in der israelischen Botschaft in Paris gearbeitet, und die konnte denen dann helfen, nach Israel zu kommen, weil das im Krieg sonst echt schwierig war. Die israelischen Flugzeuge haben nur Piloten und Offiziere transportiert, die die Toten und Verwundeten ersetzen mussten. Damals, da ist jeder Israeli, der irgendwie kämpfen konnte, sofort in den Krieg gezogen. Der ägyptische Präsident, der Sadat, der wusste das wohl auch und hat gedroht, alle zivilen Flugzeuge abzuschießen, die in Israel landen wollen. Also sind die in Paris geblieben und haben gewartet, bis die Schwester vom Daniel ihnen 'n Flug organisiert hat. Die haben sich da noch so Stiefel gekauft, so leichte Canvas-Stiefel, die waren wohl besser als die schweren Lederstiefel vom israelischen Militär. Clever, muss man sagen.
Die Barbara, die Frau vom Amos, war gerade mit ihrem ältesten Sohn auf dem Weg zum Arzt in Jerusalem. Der hatte sich beim Gurken-auf-der-Nase-balancieren-Wettbewerb mit seinem Bruder durchgesetzt. Auf dem Rückweg haben dann Leute ihr Auto umzingelt und rumgeschrien, sie soll Platz machen. Das Land war total in Panik. Kampfjets sind über Jerusalem geflogen und haben die Reservisten mobilisiert. Die Uni war wieder mal geschlossen. Die Ruhe in der Gegend vom Amos war dahin, da fuhren die ganze Nacht Militärfahrzeuge rum. Die Stadt war stockdunkel. Die Leute haben die Bremslichter ihrer Autos abgeklebt. Die Sterne waren so hell wie noch nie, aber die Lage war auch so beängstigend wie noch nie. Die Barbara hat da wohl zum ersten Mal gemerkt, dass die Regierung die Wahrheit nicht sagt. Diesmal sah's echt schlecht aus für Israel. Sie wusste nicht, wo der Amos war und was er vorhatte, sie konnte nix machen. Internationale Anrufe waren zu teuer, die haben immer nur Briefe geschrieben. Und so ging's wohl vielen: Israelis im Ausland sind zurückgekehrt, um zu kämpfen, und dann wurde ihren Familien mitgeteilt, dass sie tot sind.
Die Barbara hat dann 'n Artikel über Stress und Stressbewältigung geschrieben, den sie in der Bibliothek recherchiert hat. Paar Tage später, so gegen zehn Uhr abends, die Kinder waren schon im Bett, da saß sie in ihrem Arbeitszimmer und hat gearbeitet, die Jalousien waren runtergelassen, damit kein Licht rauskommt. Und dann hat sie Schritte gehört. Schritte auf der Treppe, die immer näher kamen, jemand ist gerannt, und dann stand plötzlich der Amos im Dunkeln. Der war mit dem israelischen Flugzeug gekommen, das die Soldaten zurückgebracht hat. Die sind im Dunkeln in Tel Aviv gelandet, ohne Licht am Flugzeug. Der Amos hat dann seinen alten Militäranzug aus dem Dachboden geholt, der war jetzt mit 'nem Hauptmann-Abzeichen. Der Anzug hat immer noch gepasst. Und um fünf Uhr morgens war er dann weg.
Der Amos und der Daniel, die sind beide in der psychologischen Abteilung gelandet. Die Abteilung war wohl seit den 50ern immer größer geworden, seitdem der Daniel da 'n neues System zur Personalauswahl entworfen hat. Ein Psychologe, der James Lester, der hat das israelische Militärpsychologie-System untersucht und 'n Bericht darüber geschrieben. Der hat sich wohl gewundert, warum Israel die strengsten Führerscheinprüfungen der Welt hat, aber auch die meisten Verkehrsunfälle. Aber er war auch beeindruckt von dem Vertrauen, das die Israelis in die Psychologen gesetzt haben. Die haben wohl schon in der ersten Trainingswoche die Leute aussortiert, die nicht geeignet waren.
Der Chef der psychologischen Abteilung war wohl 'n ziemlicher Macher, der Benny Shalit. Der hat immer dafür gekämpft, dass die Abteilung mehr Einfluss bekommt, und das hat er wohl auch erreicht. Aber seine Abteilung war wohl auch 'n bisschen verrückt. Er wollte 'n eigenes Abzeichen für die Uniform, mit 'nem Olivenzweig und 'nem Schwert, und 'nem Auge, das für Bewertung oder Vision stand. Und er wollte die Psychologen in 'ne Kampfeinheit verwandeln und hat sich da Sachen ausgedacht, die selbst Psychologen komisch fanden. Er wollte Araber hypnotisieren, damit die ihre eigenen Führer umbringen. "Einmal hat er's wirklich mit 'nem Araber gemacht," hat die Daniela Gorden erzählt, die da auch gearbeitet hat. "Die haben den an die jordanische Grenze gebracht, aber der ist abgehauen."
Es gab wohl auch das Gerücht, dass der Shalit die Persönlichkeitstests aller wichtigen Leute im Militär hatte und damit gedroht hat, die zu veröffentlichen. Egal, warum, der Benny Shalit war wohl echt gut darin, sich im israelischen Militär durchzusetzen. Er hat auch durchgesetzt, dass Psychologen in den Kampfeinheiten eingesetzt werden, damit die den Kommandanten direkt beraten können. Die Psychologen konnten dann Ratschläge geben, wie zum Beispiel, dass die Soldaten beim Marschieren im Sommer ihre Getränke nicht mehr mit den Munitionskisten aufmachen, weil das die Vorräte beschädigt hat. Die haben dann 'nen Flaschenöffner bekommen. Oder die haben die Zielfernrohre von den Sturmgewehren abmontiert und die Zusammenarbeit zwischen den MG-Schützen verbessert, um die Treffsicherheit zu erhöhen. Kurz gesagt, die Psychologen im israelischen Militär konnten sich austoben. Und die Amerikaner, die das untersucht haben, meinten, dass die israelische Militärpsychologie total am Boomen ist und dass es interessant wäre zu sehen, ob sich die israelische Psychologie in 'ne militärische Psychologie verwandelt.
Was die Psychologen im echten Krieg dann so gemacht haben, das war wohl nicht so klar. Der Stellvertreter vom Benny Shalit, der Eli Fischhoff, der meinte, die Abteilung war total überfordert, der Krieg kam zu plötzlich. Die haben nur gemerkt, dass es diesmal echt schlimm werden könnte. In wenigen Tagen hatte das israelische Militär so viele Verluste wie die USA im ganzen Vietnamkrieg. Die israelische Regierung hat den Krieg später als "demografische Katastrophe" bezeichnet, weil so viele Elitesoldaten gestorben sind. In der psychologischen Abteilung hat dann jemand vorgeschlagen, 'n Fragebogen zu entwerfen, um die Moral der Truppen zu verbessern. Und der Amos, der hat die Chance genutzt, um mitzumachen und so näher an die Front zu kommen. "Wir sind dann mit 'nem Jeep durch den Sinai gefahren, um dem Land zu helfen," hat der Daniel gesagt.
Als die Kollegen die beiden mit Gewehren im Jeep Richtung Front fahren sahen, haben die gedacht, die sind verrückt. Die Yaffa Singer meinte, der Amos war total aufgeregt, wie 'n Kind, aber der Sinai war total gefährlich, das war Selbstmord. Da waren Panzer und Flugzeuge vom Feind, und überall Minen. "Die sind alleine gefahren, ohne Bewachung, die mussten sich selbst schützen," meinte die Daniela Gorden, die deren Vorgesetzte war. Die haben sich vor allem um den Daniel Sorgen gemacht, weil der Amos war halt 'n Kämpfer.
Aber dann hat wohl der Daniel im Sinai mehr gebracht als der Amos. "Er ist aus dem Jeep gesprungen und hat die Soldaten mit dem Fragebogen befragt," hat der Fischhoff erzählt. Der Amos war wohl eher pragmatisch, aber der Daniel hatte 'n Talent dafür, Probleme zu erkennen, die andere nicht gesehen haben, und Lösungen zu finden. Auf dem Weg zur Front hat der Daniel riesige Müllberge am Straßenrand gesehen: angebrochene Konservendosen, alles vom US-Militär. Er hat sich das genau angeschaut, was die Soldaten gegessen haben und was weggeworfen wurde (die mochten wohl alle die Dosenpfirsiche). Er hat dann empfohlen, dass das israelische Militär den Müll analysieren soll, damit die den Soldaten das geben, was die wirklich essen wollen. Das kam dann sogar in die Zeitung.
Die Panzerfahrer hatten damals besonders hohe Verluste. Der Daniel ist dann in 'n Ausbildungslager für Panzerfahrer gegangen. Die wurden da so schnell wie möglich ausgebildet, damit die die Gefallenen an der Front ersetzen konnten. Die wurden in Vierergruppen aufgeteilt und alle zwei Stunden ausgetauscht. Der Daniel hat gesagt, dass die Leute schneller lernen, wenn die was oft wiederholen, auch wenn's nur kurz ist. Wenn die alle halbe Stunde ausgetauscht werden, lernen die das Panzerfahren schneller. Das hat er dann auch bei der Luftwaffe eingeführt. Da gab's auch hohe Verluste, weil die Ägypter neue Boden-Luft-Raketen aus der Sowjetunion hatten. 'Ne Staffel hatte besonders viele Verluste. Die Luftwaffengeneräle wollten das untersuchen und die Staffel bestrafen. "Ich erinnere mich, dass der General 'nem Piloten vorgeworfen hat, dass sein Flugzeug 'von vier Raketen getroffen wurde, nicht von einer!' Als ob das beweist, wie unfähig der Pilot war," erzählte der Daniel.
Der Daniel hat dem General dann gesagt, dass er 'n Fehler macht, weil er nicht genug Ahnung von Statistik hat. Die Verluste der Staffel könnten einfach nur Zufall sein. Wenn er die Staffel untersucht, findet er bestimmt irgendwelche Verhaltensmuster, die die Ergebnisse erklären. Vielleicht waren die Piloten zu oft zu Hause oder haben komische Unterwäsche getragen. Aber das wäre alles nur Quatsch, weil die Anzahl der Piloten in der Staffel zu klein ist, um irgendwas statistisch zu beweisen. Und so 'ne Untersuchung würde die Moral total kaputt machen. Das einzige, was der General damit erreichen würde, wäre seine Autorität zu demonstrieren. Der General hat die Untersuchung dann abgebrochen. "Ich glaube, das war mein einziger Beitrag zum Krieg," meinte der Daniel.
Der Daniel hat dann gemerkt, dass das mit den Fragebögen an der Front Quatsch ist. Viele Soldaten waren traumatisiert. "Wir wollten den verängstigten Leuten helfen und ihre Traumata untersuchen," sagte der Daniel. "Aber die Leute waren total fertig, und manche konnten einfach nicht mehr." Die traumatisierten israelischen Soldaten waren wie Depressive. Der Daniel wusste, dass er da nix machen konnte.
Er wollte auch nicht im Sinai bleiben, nicht so, wie der Amos das wollte. "Ich hatte das Gefühl, ich verschwende meine Zeit," sagte er. Als er dann wieder mal im Jeep von seinem Sitz gehüpft ist, hat er's endgültig gelassen und den Amos alleine mit den Fragebögen gelassen.
Später hat das Walter Reed Army Institute 'ne Studie über die psychologischen Traumata des Yom-Kippur-Kriegs gemacht. Die haben festgestellt, dass der Krieg extrem intensiv war, 24 Stunden am Tag, zumindest am Anfang. Und die Verluste waren enorm. Und zum ersten Mal wurden israelische Soldaten mit psychologischen Traumata diagnostiziert. Der Fragebogen vom Amos hatte einfache Fragen: Wo warst du? Was hast du gemacht? Was hast du gesehen? Haben wir gewonnen? Warum nicht? Und so weiter. "Die Leute haben angefangen, über ihre Ängste zu reden," erinnerte sich die Yaffa Singer. "Über ihre Gefühle. Das war seit dem Unabhängigkeitskrieg bis 1973 nicht erlaubt. Wir sollten alle Superhelden sein, und niemand durfte Angst haben. Sonst wärst du vielleicht gestorben."
Nach dem Krieg haben der Amos und die Singer und zwei Kollegen die Fragebögen ausgewertet. Die haben da über ihre Motive im Krieg geschrieben. "Es war schockierend, was die Leute da alles erzählt haben," sagte die Singer. Die Soldaten haben den Psychologen Sachen erzählt, die eigentlich total offensichtlich waren. "Wir wollten wissen, warum die Leute für Israel kämpfen," sagte die Singer. "Wir dachten immer, es wäre wegen der Liebe zum Land. Aber dann haben wir gemerkt, dass die für ihre Freunde und ihre Familien kämpfen. Nicht für das Land oder den Zionismus. Das war damals 'ne große Entdeckung." Nachdem die gesehen haben, wie ihre Freunde von Bomben zerfetzt wurden oder wie ihre besten Freunde falsch abgebogen sind und gestorben sind, haben die israelischen Soldaten zum ersten Mal ihre Gefühle ausgesprochen. "Es war herzzerreißend," sagte die Singer.
Als der Krieg fast vorbei war, hat der Amos 'ne überraschende Entscheidung getroffen, die alle für dumm gehalten haben. "Er wollte zum Suezkanal fahren, um das Ende des Krieges zu sehen," erinnerte sich die Barbara. "Obwohl er wusste, dass nach dem Waffenstillstand immer noch geschossen wurde." Der Amos hat sich manchmal so verhalten, dass selbst seine Frau es nicht verstanden hat. Er hat wieder mal gesagt, dass er aus dem Flugzeug springen will, weil das lustig wäre. "Ich hab ihm gesagt, er soll dran denken, dass er Vater ist, und dann hat er's gelassen," sagte die Barbara. Der Amos war kein Adrenalinjunkie, aber er hatte so 'ne kindliche Begeisterung, dass er manchmal Sachen machen wollte, die keiner machen wollte.
Am Ende ist er dann zum Suezkanal gefahren. Es gab Gerüchte, dass die israelische Armee bis nach Kairo marschieren würde und dass die Sowjets Atomwaffen nach Ägypten bringen wollten, um die Israelis aufzuhalten. Am Suezkanal hat der Amos dann gemerkt, dass nicht weniger, sondern mehr geschossen wurde. Die Araber und Israelis hatten wohl so 'ne Tradition, dass die vor 'nem Waffenstillstand noch mal alles geben, um so viele Gegner wie möglich zu töten. Die Idee war wohl, so viele Feinde wie möglich auszuschalten, solange es noch geht. Beim Herumlungern am Suezkanal ist der Amos dann in 'nen Graben gesprungen und auf 'nen israelischen Soldaten gefallen.
"Bist du 'ne Bombe?" hat der Soldat gefragt.
"Nein, ich bin Amos," hat er geantwortet.
"Bin ich tot?" hat der Soldat gefragt.
"Nein, du bist nicht tot," hat er gesagt.
Das war's, was der Amos über den Krieg erzählt hat. Mehr hat er nie gesagt.
Ende 1973 oder Anfang 1974 hat der Daniel 'n Vortrag gehalten, den er danach noch oft gehalten hat: "Kognitive Grenzen und öffentliche Entscheidungsfindung." Er hat angefangen mit den Worten: "Es ist beunruhigend, dass ein Lebewesen mit 'nem emotionalen und physiologischen System nicht viel anders ist als 'ne Waldmaus, die mit 'n paar Knöpfen alles Leben vernichten kann." Er und der Amos hatten gerade ihre Forschung über menschliche Urteile abgeschlossen, und jetzt hat er noch was gefunden, was noch beunruhigender ist. "Wie viele wichtige Entscheidungen wurden in der Geschichte nicht von 'n paar wenigen Machthabern getroffen?" Wenn die Entscheidungsträger ihre eigenen Denkprozesse nicht hinterfragen und ihre Gefühle nicht kontrollieren, dann "kann das Schicksal der Gesellschaft durch vermeidbare Fehler der Führung geändert werden."
Vor dem Krieg hatten der Daniel und der Amos den Wunsch, ihre Forschung über menschliche Entscheidungen auf risikoreiche Entscheidungen anzuwenden. In dem neuen Bereich der "Entscheidungsanalyse" wollten sie riskante Entscheidungen in 'ne Art Ingenieursproblem verwandeln. Die wollten 'n Entscheidungssystem entwerfen. Entscheidungsexperten sollten mit den Chefs von Unternehmen, Militärs und Regierungen zusammensitzen und denen helfen, jede Entscheidung zu analysieren, die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen zu berechnen und die möglichen Konsequenzen zu bewerten. Wenn wir 'nen Hurrikan kontrollieren wollen, haben wir 'ne 50-prozentige Chance, die Windgeschwindigkeit zu reduzieren, aber auch 'ne 5-prozentige Chance, dass die Leute, die evakuiert werden müssen, sich in Sicherheit wiegen: Was sollen wir tun? Bei Verhandlungen sollen die Entscheidungsexperten die Leute daran erinnern, sich nicht von ihren Instinkten täuschen zu lassen. "Unsere Kultur wird sich in 'ne Richtung entwickeln, in der Zahlen und Formeln eine Rolle spielen, und das wird die Unsicherheitsforschung ermöglichen," hat der Amos in seinen Vorlesungsnotizen geschrieben. Der Amos und der Daniel waren der Meinung, dass die Leute, die am meisten von den risikoreichen Entscheidungen betroffen sind, wie Wähler und Aktionäre, die Entscheidungen besser verstehen würden. Die sollen 'ne Entscheidung nicht nach dem Ergebnis, sondern nach dem Prozess bewerten. Die Aufgabe der Entscheidungsträger ist dann nicht mehr, immer Recht zu haben, sondern die möglichen Konsequenzen jeder Entscheidung zu verstehen und richtig zu handeln. Wie der Daniel in seinem Vortrag in Israel sagte, ist es wichtig, "die Einstellung zur Unsicherheit kulturell zu verändern und mutig zu sein."
Wie genau die Entscheidungsexperten die Chefs von Unternehmen, Militärs und Regierungen davon überzeugen sollen, sich von denen leiten zu lassen, das war wohl nicht so klar. Wie überzeugt man 'nen wichtigen Entscheidungsträger davon, seine "Beiträge" in Zahlen zu definieren? Die Leute wollen nicht, dass andere ihre Instinkte hinterfragen, und sie wollen ihre Instinkte selbst nicht hinterfragen. Das war wohl das Problem.
Später hat der Daniel sich daran erinnert, wann er und der Amos das Vertrauen in die Entscheidungsanalyse verloren haben. Der israelische Geheimdienst hat den Angriff am Yom Kippur nicht erwartet, und das hat in der israelischen Regierung 'n Erdbeben ausgelöst. Die haben danach alle darüber nachgedacht, was falsch gelaufen ist. Die haben den Krieg zwar gewonnen, aber es hat sich angefühlt, als ob sie verloren haben. Die Ägypter, die mehr Verluste hatten, haben auf der Straße gefeiert, als ob sie gewonnen hätten. In Israel haben alle versucht, herauszufinden, was falsch gelaufen ist. Vor dem Krieg hatten die Leute vom israelischen Geheimdienst trotz vieler Beweise gedacht, dass die Ägypter nicht angreifen würden, solange die Israelis die Lufthoheit haben. Aber die Ägypter haben doch angegriffen. Nach dem Krieg hat das israelische Außenministerium 'ne eigene Geheimdienstabteilung gegründet. Der Chef, der Zvi Lanir, hat den Daniel gefragt, ob er helfen kann. Und dann haben die zusammen 'ne ausgeklügelte Entscheidungsanalyse durchgeführt. Die Idee war, dass die Entscheidungen, die die nationale Sicherheit betreffen, nach neuen Maßstäben bewertet werden sollen. "Wir wollten zuerst die üblichen Militärberichte abschaffen," sagte der Daniel. "Die Berichte vom Geheimdienst waren wie Aufsätze geschrieben, und das Schlimmste an Aufsätzen ist, dass sie keinen Spaß machen, wenn man sie liest." Stattdessen wollte der Daniel die verschiedenen Möglichkeiten in Zahlen darstellen.
1974 hat der US-Außenminister Henry Kissinger zwischen Israel und Ägypten und zwischen Israel und Syrien vermittelt. Damit das klappt, hat der Kissinger der israelischen Regierung die Einschätzung der CIA vorgelegt, dass 'n Scheitern der Verhandlungen katastrophale Folgen hätte. Der Daniel und der Lanir haben dem israelischen Außenminister Yigal Allon genaue Zahlen gegeben, die die Wahrscheinlichkeit bestimmter schlimmer Folgen darstellen sollen. Die haben 'ne Liste mit möglichen "schwerwiegenden Folgen" erstellt, wie zum Beispiel 'n Regierungswechsel in Jordanien, die Anerkennung der PLO durch die USA, 'n neuer Krieg zwischen Israel und Syrien und so weiter. Dann haben die Experten und Beobachter befragt, um die Wahrscheinlichkeit dieser Ereignisse zu bestätigen. Die Experten waren sich einig: Die hatten keine großen Meinungsverschiedenheiten. Als der Daniel zum Beispiel gefragt hat, wie sich 'n Scheitern der Verhandlungen auf die Wahrscheinlichkeit 'nes Kriegs zwischen Syrien und Israel auswirken würde, haben die geantwortet, dass die Wahrscheinlichkeit um 10 Prozent steigen würde.
Der Daniel und der Lanir haben ihren Bericht dann dem israelischen Außenministerium vorgelegt (die haben den Bericht "Das nationale Glücksspiel" genannt). Der Außenminister Allon hat die Zahlen angeschaut und gesagt: "10 Prozent mehr Wahrscheinlichkeit? Das ist ja nicht viel."
Das hat den Daniel total schockiert. Wenn die Wahrscheinlichkeit 'nes Kriegs zwischen Israel und Syrien durch 'n Scheitern der Verhandlungen um 10 Prozent steigt, dann sind die Folgen unvorstellbar. Wenn so 'ne Erhöhung den Allon nicht interessiert, wie viel müsste die Wahrscheinlichkeit denn steigen, damit er sich interessiert? 10 Prozent war die genaueste Wahrscheinlichkeit, die sie berechnen konnten, aber der Außenminister wollte das nicht akzeptieren. Der wollte sich lieber auf seine Intuition verlassen. "In dem Moment habe ich beschlossen, die Entscheidungsanalyse aufzugeben," sagte der Daniel. "Niemand trifft Entscheidungen aufgrund von Zahlen. Die Leute wollen das Ganze verstehen." Jahrzehnte später, als die CIA die beiden nach ihren Erfahrungen mit der Entscheidungsanalyse gefragt hat, haben der Daniel und der Lanir geschrieben: "Das israelische Außenministerium hat sich nicht für die Wahrscheinlichkeiten interessiert." Wenn die Leute, die an dem Glücksspiel teilnehmen, die Wahrscheinlichkeitsanalyse nicht glauben und die Gewinnwahrscheinlichkeit nicht wissen wollen, warum soll man die Wahrscheinlichkeit dann auf den Tisch legen? Der Daniel vermutet, dass das daran liegt, "dass die Leute zu wenig Ahnung von Zahlen haben und deshalb nicht glauben, dass Zahlen Probleme darstellen können. Alle denken, Wahrscheinlichkeit ist Quatsch, die existiert nur in den Köpfen von Leuten."
Im Leben vom Daniel und Amos war die Begeisterung für Ideen manchmal nicht von der Begeisterung füreinander zu trennen. Im Nachhinein sieht's so aus, als ob die Zusammenarbeit vor und nach dem Yom-Kippur-Krieg nicht so sehr 'ne Diskussion über Thesen war, sondern eher 'n Vorwand für zwei Verliebte, um zusammen zu sein. Die Forschung über die Fehler, die Menschen bei Entscheidungen unter Unsicherheit machen, die war für die beiden abgeschlossen. Und die Entscheidungsanalyse, in die sie so viel Hoffnung gesetzt haben, die hat sich als nutzlos erwiesen. Die wollten 'n Buch über die menschliche Denkweise bei Unsicherheit schreiben, aber die sind nie über 'n Entwurf hinausgekommen, und selbst wenn die paar Kapitel angefangen haben, haben die die nie fertig geschrieben. Nach dem Yom-Kippur-Krieg wurde die Fähigkeit der israelischen Regierung, Entscheidungen zu treffen, von den Bürgern in Frage gestellt. Der Daniel und der Amos haben gemerkt, dass die das Bildungssystem verbessern müssen, damit die nächste Generation von Führungskräften wissenschaftlich denkt. "Wir haben den Leuten beigebracht, sich vor den Fehlern zu hüten, die man beim Denken leicht macht," haben die in ihrem Buch geschrieben, das nie fertig geworden ist. "Wir haben versucht, diese Ideen den Politikern und Militärs zu vermitteln, aber das hat nicht viel gebracht."
Das Denken von Erwachsenen ist anfällig für Selbsttäuschung, aber nicht so sehr das von Kindern. Der Daniel hat 'n Kurs über Urteilsvermögen für Grundschüler entwickelt, und der Amos hat was Ähnliches für Gymnasiasten gemacht. Danach haben die zusammen 'n Veröffentlichung geplant. "Das hat uns total motiviert," haben die geschrieben. Was wäre, wenn die den israelischen Kindern wissenschaftliches Denken beibringen könnten, damit die die falschen Ideen erkennen und korrigieren können? Vielleicht würden die Kinder, wenn die erwachsen sind, erkennen, dass es klug wäre, Henry Kissinger wieder mal mit Friedensverhandlungen zwischen Israel und Syrien zu beauftragen. Aber die haben das Projekt nicht weitergeführt. Die waren immer leichter von den Ideen des anderen abzulenken.
Der Amos hat den Daniel gefragt, ob er ihm helfen kann, 'n Problem in der Psychologie zu lösen: Wie treffen Menschen Entscheidungen? "Eines Tages hat der Amos zu mir gesagt: 'Die Forschung über das Urteilsvermögen ist abgeschlossen, lass uns die Entscheidungsfindung untersuchen'," erinnerte sich der Daniel.
Urteilsvermögen und Entscheidungen sind wie Urteilsvermögen und Vorhersagen, der Unterschied ist unklar. Aber für den Amos und andere mathematische Psychologen waren das zwei verschiedene Bereiche. Beim Urteilsvermögen schätzen die Leute Wahrscheinlichkeiten. Wie wahrscheinlich ist es, dass der Typ 'n guter NBA-Spieler wird? Wie hoch ist das Risiko der 3A-Hypothek? Ist der Schatten auf dem Röntgenbild 'n Tumor? Nach dem Urteilsvermögen muss man keine Entscheidung treffen, aber vor der Entscheidung muss man 'n Urteil fällen. Die Entscheidungsfindung untersucht, was die Leute nach dem Urteil tun, also nachdem die die Wahrscheinlichkeit kennen oder denken, die Wahrscheinlichkeit zu kennen. Sollen wir den Spieler auswählen? Sollen wir die Anleihe kaufen? Sollen wir operieren oder 'ne Chemotherapie machen? Der Bereich beschäftigt sich damit, wie die Leute auf riskante Optionen reagieren.
Die Studenten, die sich mit Entscheidungsfindung beschäftigen, haben die reale Welt mehr oder weniger ausgeblendet und sich auf die künstlichen Experimente konzentriert, bei denen die Wahrscheinlichkeit klar definiert ist. Die künstlichen Situationen in der Entscheidungsforschung sind wie die Fruchtfliegen in der Genetik, die werden verwendet, um die Phänomene zu ersetzen, die im echten Leben nicht isoliert existieren. Um dem Daniel zu helfen, der in dem Bereich 'n Anfänger war, hat der Amos ihm 'n Lehrbuch für mathematische Psychologie für Studenten gegeben. Das Buch hat er mit seinem Lehrer Clyde Coombs und 'nem anderen Studenten, Robin Dawes, geschrieben. Robin Dawes hat mit dem Daniel im Oregon Research Institute die Analyse der Persönlichkeitsbeschreibung von Tom W. gemacht, und der hat selbstbewusst "Informatiker" gesagt, aber das war falsch. Der Amos hat dem Daniel gesagt, er soll das Kapitel über "individuelle Entscheidungsfindung" lesen.
Das Buch hat geschrieben, dass die Entscheidungstheorie im frühen 18. Jahrhundert angefangen hat. Damals haben französische Adlige, die gerne gewürfelt haben, die Mathematiker am Hof gefragt, wie die würfeln müssen, um zu gewinnen. In 'nem Glücksspiel ist der Erwartungswert die Summe aller Ergebnisse, die die Wahrscheinlichkeit 'nes Ergebnisses widerspiegelt. Wenn dir jemand sagt, dass du 100 Dollar bekommst, wenn 'ne Münze auf der Kopfseite landet, und du 50 Dollar verlierst, wenn die Münze auf der Zahlenseite landet, dann ist der Erwartungswert des Glücksspiels 100 Dollar mal 0,5 plus minus 50 Dollar mal 0,5, also entweder 75 Dollar oder 25 Dollar. Vielleicht spielst du so Spiele nur, wenn der Erwartungswert positiv ist, sonst nicht. Aber jeder kann sehen, dass die Leute beim Wetten nicht immer den Erwartungswert maximieren. Die akzeptieren auch Spiele mit negativem Erwartungswert. Sonst gäbe es ja keine Casinos. Wenn die Leute 'ne Versicherung abschließen, zahlen die mehr Versicherungsprämien als ihren erwarteten Schaden, sonst würden die Versicherungen ja keinen Gewinn machen. Um zu erklären, warum 'n rationaler Mensch Risiken eingeht, muss jede Theorie die üblichen Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen, wie zum Beispiel den Kauf von Versicherungen, und dass die Leute den Erwartungswert oft nicht maximieren können.
Das Lehrbuch vom Amos hat gesagt, dass die Hauptidee der Entscheidungstheorie vom Schweizer Mathematiker Daniel Bernoulli in den 1730ern entwickelt wurde. Bernoulli wollte menschliches Verhalten genauer beschreiben als nur den Erwartungswert zu berechnen. Er sagte: "Stell dir vor, da ist 'n armer Mensch, der 'n Los hat, das entweder nix wert ist oder 20.000 Gulden wert ist, die Wahrscheinlichkeit ist 50 zu 50. Würde der das Los mit 10.000 Gulden gleichsetzen? Oder würde der das Los für 9.000 Gulden eintauschen?" Die Antwort ist: Der würde es eintauschen. Um zu erklären, warum der arme Mensch lieber 9.000 Gulden haben will als das Risiko einzugehen, 20.000 Gulden zu gewinnen, meinte Bernoulli, dass es da 'ne versteckte Annahme gibt. Die Menschen maximieren nicht den Wert, die maximieren den "Nutzen".
Was ist "Nutzen"? (Das komische Wort bezieht sich hier auf "den Wert, den Menschen dem Geld geben".) Das hängt natürlich von der finanziellen Situation ab. Wenn 'n armer Mensch 'n Los mit 'nem Erwartungswert von 10.000 Gulden hat, dann findet er es natürlich besser, das Los in 9.000 Gulden einzutauschen.
Um menschliches Verhalten vorherzusagen, reicht es nicht aus zu sagen: "Die Menschen wählen das, was die am meisten wollen." Die "Erwartungsnutzentheorie" hat ihren Wert, weil die die menschliche Natur berücksichtigt. Bernoulli hat gesagt, dass die Menschen nicht nur den Nutzen maximieren wollen, sondern auch "risikoavers" sind. Das Lehrbuch definiert "Risikoaversion" so: "Je mehr Vermögen 'n Mensch hat, desto geringer ist der Wert jedes zusätzlichen Vermögens für ihn. Und der Nutzen jedes zusätzlichen Vermögens sinkt mit dem Gesamtvermögen." Die zweiten 1.000 Dollar sind nicht so wichtig wie die ersten 1.000 Dollar, und die dritten 1.000 Dollar sind nicht so wertvoll wie die zweiten 1.000 Dollar. Das Geld, mit dem du 'ne Feuerversicherung kaufst, hat 'nen geringeren Wert als der finanzielle Schaden, der entsteht, wenn das Haus abbrennt. Deshalb kaufst du 'ne Versicherung, obwohl das eigentlich 'n schlechtes Geschäft ist. Wenn du 'ne Münze wirfst, hast du die Chance, 1.000 Dollar zu gewinnen, aber die 1.000 Dollar sind weniger wert als die 1.000 Dollar, die du auf dem Konto hast und die du verlieren könntest, deshalb lehnst du das Spiel ab. 'N armer Mensch will lieber die 9.000 Gulden haben, deshalb lehnt der das Risiko ab, obwohl er mehr gewinnen könnte.
Das bedeutet nicht, dass die Leute sich immer so verhalten, wie Bernoulli das beschrieben hat. Aber seine Theorie scheint zu widerspiegeln, wie die Leute im echten Leben mit Geld umgehen. Die Theorie kann die Motivation zum Kauf von Versicherungen gut erklären, aber nicht, warum die Leute Lottoscheine kaufen. Alles, was mit Wetten zu tun hat, wird erfolgreich ignoriert. Interessanterweise sollte die Theorie eigentlich erklären, wie die Leute riskante Entscheidungen treffen, aber am Ende hat die den Leuten auch beigebracht, wie man 'n schlauer Spieler wird.
Nach der Beschreibung der Ideen von Bernoulli hat das Lehrbuch vom Amos den langen Entwicklungsprozess der Nutzentheorie übersprungen und ist direkt zum Jahr 1944 gekommen. In dem Jahr haben der Ungar John von Neumann und der Österreicher Oskar Morgenstern aus irgendeinem Grund zusammen 'n Artikel über "rationale Prinzipien" veröffentlicht. Ein rationaler Mensch soll bei der Wahl zwischen zwei Aussagen nicht gegen das "Transitivitätsgesetz" verstoßen: Wenn er A gegenüber B bevorzugt und B gegenüber C, dann soll er auch A gegenüber C bevorzugen. Wenn jemand A gegenüber B, B gegenüber C, aber C gegenüber A bevorzugt, dann widerspricht der der "Erwartungsnutzentheorie". Das wichtigste Gesetz von Von Neumann und Morgenstern ist das "Unabhängigkeitsgesetz". Demnach soll man sich bei der Wahl zwischen zwei Optionen nicht von irrelevanten Optionen beeinflussen lassen. Zum Beispiel: Du gehst in 'n Feinkostladen und willst 'n Sandwich kaufen, der Verkäufer sagt, dass er nur Roastbeef oder Truthahn hat. Du wählst Truthahn. Während der dein Sandwich zubereitet, sagt er: "Ach ja, ich hab auch noch Schinken." Und dann sagst du: "Okay, dann nehm ich doch Roastbeef." Das "Unabhängigkeitsgesetz" von Von Neumann und Morgenstern besagt, dass es unlogisch ist, wenn du den Truthahn gegen Roastbeef austauschst, nur weil der Ladenbesitzer Schinken hat.
Ehrlich gesagt, wer ändert denn in so 'ner Situation seine Entscheidung? Das "Unabhängigkeitsgesetz" ist wie andere Gesetze der Rationalität, das klingt logisch, und es gibt keinen offensichtlichen Konflikt zwischen dem Gesetz und dem, wie die Leute sich im Leben verhalten.
Die "Erwartungsnutzentheorie" ist nur 'ne theoretische These, die nicht erklärt und vorhersagt, wie die Leute sich bei riskanten Entscheidungen verhalten. Dem Daniel hat die Theorie nicht so wichtig geschienen, aber der Amos hat die Theorie so dargestellt, dass sie doch wichtig sein muss. "Für den Amos war das was Heiliges," sagte der Daniel. Obwohl die Theorie sich nicht als 'ne psychologische Wahrheit bezeichnet hat, hat das Lehrbuch vom Amos die Theorie eindeutig als psychologisch anerkannt. Fast alle, die sich für das Thema interessiert haben, auch alle, die sich mit Wirtschaft beschäftigt haben, haben gedacht, dass die Theorie das Verhalten von normalen Menschen bei riskanten Entscheidungen gut beschreibt. Die Erkenntnis hatte zumindest 'nen positiven Einfluss auf die Wirtschaftswissenschaftler: Bei den wirtschaftlichen Ratschlägen für Politiker stand im Vordergrund, den Menschen mehr Wahlfreiheit zu geben, und der Markt wurde in Ruhe gelassen. Wenn man darauf vertraut, dass die Menschen grundsätzlich rational sind, dann soll auch der Markt rational sein.
Der Amos war wohl skeptisch, schon als er an der University of Michigan studiert hat. Der Amos hatte den Instinkt, die Fehler in den Meinungen anderer zu finden. Der wusste natürlich, dass die Theorie die Entscheidungen der Menschen nicht vorhersagen kann. Er hat selbst untersucht, wie die Leute gegen das "Transitivitätsprinzip" verstoßen, also genau das Gegenteil von dem, was die Theorie behauptet. Während seines Studiums an der University of Michigan hat er Studenten der Harvard University und Schwerverbrecher im Gefängnis immer wieder A oder B, B oder C, C oder A wählen lassen. Die Ergebnisse haben bewiesen, dass die Menschen sich nicht an die Erwartungsnutzentheorie halten. Aber der Amos hat die Zweifel nie vertieft. Er hat gesehen, dass die Leute manchmal Fehler machen, aber er hat kein irrationales Verhalten bei den Entscheidungen gesehen. Und der wusste noch nicht, wie er die Erkenntnisse über die menschliche Natur in die mathematische Untersuchung von Entscheidungen einbeziehen soll.
Bis zum Sommer 1973 hat der Amos darüber nachgedacht, die damals vorherrschende Entscheidungstheorie in Frage zu stellen, so wie er und der Daniel die These, dass Menschen statistischen Gesetzmäßigkeiten folgen, komplett auf den Kopf gestellt haben. Auf 'ner Reise nach Europa mit seinem Freund Paul Slovic hat er ihm von seiner neuesten Idee erzählt: In der Entscheidungstheorie muss