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Okay, Kapitel vierzehn… oder nee, Kapitel drei, sorry. Poplar Grove. Boah, ey… "DIE ELTERN TICKEN DOCH NICHT RICHTIG." Ja, so krass ging’s da wohl ab.
Also, da war dieser Immobilienmakler, Richard… gut, der hieß eigentlich nicht Richard, aber egal… und der hat mich dann eines schönen Herbsttages in seiner Heimatstadt rumgeführt.
Richard war echt ein dufter Typ, groß, freundlich. Wir sind da so durch die Straßen gefahren, und er hat ständig irgendwelchen Leuten zugewunken oder auf ein Haus gezeigt und erzählt, wer da wohnt, wie viele Kinder die haben, was die so arbeiten. Der war da aufgewachsen und kannte scheinbar jeden. Was seine Stadt so hat? Alles, was man sich wünscht, meinte er. So ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Nette Nachbarn, auf die man sich verlassen kann.
Die Innenstadt, die hatte so richtig diesen Charme der 50er. Überall Kirchen, so proper aus rotem Backstein. Wir sind am Bürgerzentrum vorbei, an der Bibliothek, und dann hoch in so ein schönes Wohnviertel…
"Wir sind hier am Wasser", sagte Richard und deutete durch die Bäume auf so eine Bucht. "Also, direkt am Wasser, das sind die Top-Lagen, und dann gibt's halt so Viertel, die so 'Wasserblick' haben."
Die Straßen waren eng, gesäumt von hohen Eichen. Und alles ging da so leicht bergauf und bergab. Die Häuser standen dicht an dicht, das wirkte alles sehr… familiär.
Man kennt seine Nachbarn da, klar. Wenn da einer anruft und sagt, "Hey, ich will ein Haus direkt am Wasser mit anderthalb Hektar Land, ich will meine Ruhe, ich will keine Nachbarn sehen", dann sagt Richard: "Äh, das haben wir hier nicht. Das ist so, als wenn du zu BMW gehst und 'nen Minivan willst."
Die Stadt hat auch einen riesigen Park mit zig Fußballplätzen, Baseballfeldern, Tennisplätzen. Laufstrecken, Streichelzoo, ein Golfclub für Familien und so kleine Strände für Boote und Kajaks. Früher war das so eine ganz normale Schlafstadt für die umliegenden Städte, aber in den letzten Jahren ist das echt beliebt geworden. Die Preise sind total gestiegen.
"Arbeitende Bevölkerung mit viel Geld. Das sind meine Kunden", meinte Richard grinsend. "Leute mit Jobs, die gut verdienen. Ärzte, Anwälte, Akademiker, aber keine blaublütigen Adeligen. Also nicht so vierte Generation, die 'ne Firma verkauft und 200 Millionen gemacht hat und nicht weiß, was sie mit dem Tag anfangen soll. Wir sind hier nicht in Palm Beach… Hier geht jeder arbeiten."
Und jeder hat 'ne Familie. "Hundert Prozent" der Leute, denen Richard Häuser verkauft, die also neu in die Gegend ziehen, haben Kinder. Das ist hier 'ne Familien-Stadt.
"Der ist IT-ler, arbeitet von zu Hause", erzählte Richard, als er sich an ein Haus erinnerte, das er erst vor kurzem verkauft hatte. "Die ist Musiklehrerin an 'nem Gymnasium. Die beschissenen [Stadt] Schulen haben die vertrieben, und die suchen jetzt 'ne sichere Gegend, wo sie 'ne Familie gründen und ihre Kinder auf öffentliche Schulen schicken können. Kaufpreis: 750.000 Dollar."
Ob die Verkäufer weggezogen sind? Nö. Die sind in der Nähe geblieben. Warum sollten die auch wegziehen aus dieser perfekten Stadt?
Es gibt da keine Mehrfamilienhäuser. Nur Einfamilienhäuser. Und ich weiß die genaue Zahl nicht, aber ich schätze, über 90 Prozent der Hausbesitzer wohnen auch wirklich selbst in ihrem Haus. Keine Eigentumswohnungen, keine Mietwohnungen, keine billigen Buden, die irgendwelche Vielfalt anziehen. Das ist 'ne sehr homogene Gegend geworden. Deshalb gibt's da wahrscheinlich auch so "gemeinsame Werte": gute Noten, guter Sport, auf die beste Uni gehen, die man kriegen kann. So 'n richtig…
Er machte eine Pause, suchte nach 'ner netten Formulierung, denn obwohl er seine Stadt liebte, schien ihm irgendwas daran nicht ganz geheuer zu sein… "kollegiales Gefühl."
Ich sag jetzt nicht, wie Richards Stadt heißt. Könnt ihr raten, aber ihr liegt bestimmt falsch. Und Richard heißt auch nicht Richard. Ist ja auch egal. Die zwei Forscher, die untersucht haben, was da so abläuft, die nennen die Stadt "Poplar Grove". Klingt doch gut, oder? "Ich hatte von der Stadt noch nie gehört", meinte einer von denen, der Soziologe Seth Abrutyn. "War überhaupt nicht auf meinem Radar."
Wäre sie auch nicht. Poplar Grove ist keine Stadt, die Schlagzeilen macht. Wenn man da auf der Autobahn vorbeifährt, hält man nicht an. Und das wollen die Leute da auch so. Aber bestimmt kennt ihr auch so 'ne Stadt wie Poplar Grove. Die ist so ein typisches Beispiel für so eine amerikanische, wohlhabende Gemeinde, wo alle eng zusammenhalten.
"Hat mich an diesen Mythos von Kleinstadt-Amerika erinnert, wo sich alles um die Schule und die Sportveranstaltungen dreht", meinte Abrutyn. "Viele Jugendliche und Erwachsene haben uns erzählt, dass sie ihre Nachbarn kennen und zu jedem gehen könnten. Das klang alles total idyllisch… Schien 'n super Ort zu sein, um Kinder großzuziehen."
Abrutyn hat Poplar Grove zusammen mit seiner Kollegin Anna Mueller untersucht. Als die da zum ersten Mal hinfuhren, waren die beide Assistenzprofessoren für Soziologie an der Uni Memphis, ganz am Anfang ihrer Karriere. Die haben zufällig von der Stadt erfahren. Mueller hatte sich auf Facebook mit jemandem unterhalten. "Und die meinte dann, 'Kannst du mal mit meiner Mutter reden?' Und dann hab ich mit ihrer Mutter gequatscht."
Die Mutter wohnte in dieser Stadt, die Mueller und Abrutyn dann Poplar Grove nannten. Mueller war von dem Gespräch so baff, dass sie sich sofort in 'n Flieger gesetzt hat. Dann ist sie wieder hingefahren, diesmal mit Abrutyn, und die beiden sind immer wieder zurückgekommen, weil sie immer tiefer in diese Geschichte reingezogen wurden.
"Echt wunderschön da", meinte Mueller. "So 'ne malerische Gegend, mit 'nem richtig, richtig starken Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Leute sind total stolz, aus Poplar Grove zu sein." Das Gymnasium ist eines der besten im ganzen Bundesstaat. Egal welche Sportart, die haben immer Meisterschaften gewonnen. "Die Theateraufführungen von den Schülern waren total spektakulär", sagte Mueller.
Ein paar Kilometer von Poplar Grove entfernt liegt die Stadt, die Mueller und Abrutyn Annesdale nennen. Annesdale ist auch schön, aber da gibt's viele Mehrfamilienhäuser, und da wohnen viele Schwarze und Latinos. Die Häuser sind billiger, und das Gymnasium ist nicht so top wie in Poplar Grove. "Ich wollte mein Kind da nicht hinschicken", meinte 'ne Mutter zu Mueller und Abrutyn. "Da ist zwar nichts Schlimmes dran, aber Poplar Grove… ist halt Poplar Grove." Wenn deine Kinder in Poplar Grove aufwachsen, dann ist die Chance groß, dass sie nicht vom Weg abkommen, den sich alle Eltern der oberen Mittelschicht für ihre Kinder wünschen: aktiv sein, beliebt sein, fleißig in der Schule sein und die richtigen Entscheidungen treffen, die zu einem besseren Leben führen. Und dann natürlich wieder nach Poplar Grove zurückkommen. Mueller und Abrutyn haben über ihre Zeit in Poplar Grove ein Buch geschrieben, das heißt "Life Under Pressure" – ein spannendes, aber auch beunruhigendes Werk. Darin schreiben sie:
Die Klarheit und Konsequenz, mit der die Leute aus Poplar Grove ihre gemeinsamen Werte benennen konnten, war manchmal unheimlich. "Wir" war so ein Schlagwort. "Wenn wir an Poplar Grove denken", erzählte Elizabeth, die Mutter eines Teenagers, "denken wir an Leistung, an schulische Leistung und an sportliche Leistung."
Und hier ist Shannon, 'n Teenager:
Unser Viertel ist total familiär… Wenn ich die Straße runtergehe, grüße ich jeden, den ich kenne, auch die Erwachsenen, weil ich die schon mein ganzes Leben lang kenne. Das ist so 'n großes Netzwerk, das einen unterstützt…
Shannon ist in Poplar Grove aufgewachsen. Das war immer schon so. Und Isabel, 'ne junge Frau, erzählte Mueller und Abrutyn:
Wenn ich mich verletzt hab, wusste ich, dass ich in jede Straße gehen kann… und kriege, was ich brauche. Das mussten nicht meine Eltern sein. Ich konnte einfach reingehen [in irgendein Haus], weinend mit 'nem aufgeschlagenen Knie, und die hätten mir geholfen… Ich liebe dieses Gemeinschaftsgefühl.
Wir haben uns ja schon mit der Idee beschäftigt, dass soziale Epidemien nicht einfach nur außer Kontrolle geraten. Die hängen an bestimmten Orten. Und die Geschichte von Philip Esformes und Miami hat uns gezeigt, dass die Macht von Orten von den Geschichten kommt, die sich die Leute in der Gegend erzählen. Jetzt wollen wir noch 'ne dritte Frage stellen: Wenn Epidemien von den Geschichten beeinflusst werden, die sich die Bewohner einer Gegend erzählen, inwiefern ist die Gegend dann verantwortlich für die Probleme, die uns plagen?
Rätsel Nummer drei.
Vor der Krise in Poplar Grove gab's schon mal so 'ne ähnliche Krise in Zoos. Ist vielleicht zu viel gesagt, dass die Zoo-Krise die Eltern in Poplar Grove hätte warnen sollen, weil die beiden Welten eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Aber im Nachhinein sind die Parallelen schon krass.
Die Krise fing in den 70ern an. Die Zoos haben immer mehr Geld in die Zucht ihrer Tiere investiert. War ja auch logisch. Warum soll man sich die Mühe machen, Tiere in der Wildnis zu fangen? Und die Naturschutzbewegung fand die Zuchtprogramme auch gut. Die neue Strategie war echt erfolgreich – außer bei einer Tierart: dem Gepard.
"Die haben selten Nachkommen gekriegt, die überlebt haben, und viele von denen konnten sich nicht mal paaren", erzählte der Genetiker Stephen O'Brien, der damals am National Cancer Institute gearbeitet hat.
Das hat keinen Sinn gemacht. Der Gepard ist doch eigentlich der Inbegriff von Evolution: 'n riesiges Herz, die Beine von 'nem Windhund, 'n Schädel wie 'n aerodynamischer Helm und Krallen, die man so halb einziehen kann und die, wie O'Brien sagt, "sich wie Fußballschuhe in die Erde krallen, wenn die mit fast 100 Sachen hinter ihrer Beute herrennen".
"Das schnellste Tier der Welt", meinte O'Brien. "Das zweitschnellste Tier der Welt ist der Gabelbock. Und der ist so schnell, weil er vor den Geparden weglaufen musste."
Die Tierpfleger haben sich gefragt, ob sie irgendwas falsch machen oder ob die Geparden vielleicht psychisch 'n Knacks haben. Die haben sich Theorien ausgedacht und Experimente gemacht – alles für die Katz. Am Ende haben die mit den Schultern gezuckt und gesagt, die Tiere sind halt "schreckhaft".
Der Höhepunkt war dann 'ne Konferenz in Front Royal, Virginia, irgendwann in den 80ern. Da waren Zoo-Direktoren aus der ganzen Welt, und auch der Chef von 'nem großen Naturschutzprogramm aus Südafrika.
"Und der meinte dann, 'Habt ihr da irgendjemanden, der sich wissenschaftlich auskennt?'", erinnerte sich O'Brien. "Der uns erklären kann, warum unser Zuchtprogramm für Geparden in Südafrika nur so 15 Prozent Erfolg hat, während sich Elefanten, Pferde und Giraffen vermehren wie die Ratten?"
Zwei Wissenschaftler haben sich gemeldet – beide Kollegen von O'Brien. Die sind dann nach Südafrika geflogen, in so 'n großes Wildschutzgebiet in der Nähe von Pretoria. Die haben Blut- und Spermaproben von zig Geparden genommen. Und was die gefunden haben, das war echt erschreckend. Die Geparden hatten zu wenig Spermien. Und die Spermien selbst waren total verformt. Klar, dass die Tiere da Probleme mit der Fortpflanzung hatten. Die waren nicht "schreckhaft".
Aber warum? O'Briens Labor hat dann die Blutproben untersucht, die eingefroren worden waren. Die hatten schon mal ähnliche Studien mit Vögeln, Menschen, Pferden und Hauskatzen gemacht, und da hatten die Tiere immer 'ne gesunde genetische Vielfalt gezeigt: Bei den meisten Tierarten gibt's bei ungefähr 30 Prozent der untersuchten Gene 'ne gewisse Variation. Aber die Gene der Geparden, die sahen ganz anders aus. Die waren alle gleich. "Ich hab noch nie so 'ne genetisch einheitliche Tierart gesehen", meinte O'Brien.
O'Briens Ergebnisse wurden von seinen Kollegen erstmal skeptisch aufgenommen. Also hat er mit seinem Team weitergemacht.
"Ich bin dann ins Kinderkrankenhaus in Washington gegangen und hab gelernt, wie man Hauttransplantationen macht", erzählte er. "Die haben mir gezeigt, wie man alles steril hält und wie man die Haut schneidet und wie man das vernäht. Und dann haben wir ungefähr acht Geparden in Südafrika 'ne Hauttransplantation gemacht und dann nochmal sechs oder acht in Oregon."
In Winston, Oregon, da war der Wildlife Safari, damals die größte Geparden-Sammlung in den USA.
Die Idee war ganz einfach. Wenn man 'n Stück Haut von 'nem Tier auf 'n anderes transplantiert, dann stößt der Körper das ab. Der erkennt die Gene des Spenders als fremd. "Das wird dann schwarz und fällt nach zwei Wochen ab", sagte O'Brien. Aber wenn man 'n Stück Haut von 'nem eineiigen Zwilling auf den anderen transplantiert, dann klappt das. Das Immunsystem des Empfängers denkt, dass die Haut seine eigene ist. Das war der ultimative Test für seine Hypothese.
Die Hautstücke waren klein – ungefähr zweieinhalb mal zweieinhalb Zentimeter, auf die Seite der Brust genäht und mit 'nem elastischen Verband geschützt. Zuerst hat das Team einigen Geparden 'n Stück Haut von 'ner Hauskatze transplantiert, um sicherzugehen, dass die Tiere überhaupt 'n Immunsystem haben. Und tatsächlich, die Geparden haben die Katzenhaut abgestoßen. Ihr Körper wusste, was anders ist – und 'ne Hauskatze ist anders. Dann hat das Team Haut von anderen Geparden transplantiert. Und was ist passiert? Nichts! Die Haut wurde akzeptiert, meinte O'Brien, "als ob die eineiige Zwillinge wären. Sowas sieht man nur bei Inzucht-Mäusen, die zwanzig Generationen lang Bruder und Schwester gepaart wurden. Und das hat mich überzeugt."
O'Brien hat dann kapiert, dass die Gepardenpopulation irgendwann mal fast ausgerottet worden sein muss. Seine Vermutung war, dass das während des großen Artensterbens vor 12.000 Jahren passiert ist – als Säbelzahntiger, Mastodonten, Mammuts, Riesenfaultiere und über 30 andere Tierarten verschwunden sind. Irgendwie haben die Geparden überlebt. Aber nur knapp.
"Die Zahlen, die zu allen Daten passen, sind weniger als hundert, vielleicht sogar weniger als fünfzig", sagte O'Brien. Es ist sogar möglich, dass die Gepardenpopulation auf ein einziges trächtiges Weibchen reduziert wurde. Und die einzige Möglichkeit für diese wenigen Geparden zu überleben war, die Hemmungen zu überwinden, die die meisten Säugetiere gegenüber Inzest haben: Schwestern mussten sich mit Brüdern paaren, Cousinen mit Cousins. Die Tierart hat sich dann irgendwann wieder erholt, aber nur durch die endlose Vervielfältigung von 'nem ganz begrenzten Satz an Genen. Der Gepard war immer noch wunderschön. Aber jetzt war jeder Gepard auf genau die gleiche Weise wunderschön.
O'Brien hat über seine Karriere als Genetiker 'n Buch geschrieben, das heißt "Tears of the Cheetah", also "Tränen des Geparden". Das bezieht sich auf die dunklen Streifen im Gesicht der Geparden, die aussehen, als ob die weinen würden:
Stell dir vor, ein junges trächtiges Weibchen irgendwo in Südeuropa klettert in 'ne warme Höhle, um dort den harten Winter zu verschlafen. Als sie und ihre Jungen im Frühling wieder rauskriechen, treffen sie auf 'ne andere Welt, in der die Geparden und die großen Raubtiere der Gegend verschwunden sind, Opfer eines globalen Massensterbens… Meine Fantasie beschwört das Bild der Tränen dieser Geparden-Mutter herauf, die von diesem Moment an jedem Gepard die unvergesslichen Tränenstreifen unter den Augen verleihen sollten.
Die Biologen nennen 'ne Umgebung, in der es keine Unterschiede gibt und sich jeder Organismus gleich entwickelt, 'ne Monokultur.
Monokulturen sind selten. Normalerweise sind natürliche Systeme vielfältig. 'Ne Monokultur entsteht meistens nur, wenn irgendwas passiert, absichtlich oder unabsichtlich, was die natürliche Ordnung durcheinanderbringt – zum Beispiel, wenn sich 'ne Gruppe wohlhabender Eltern zusammentut, um 'ne Gemeinde zu gründen, die perfekt zu ihrem Leistungsstreben passt. Die Eltern von Poplar Grove wollten 'ne Monokultur. Aber irgendwann haben die dann gemerkt, dass 'ne Monokultur, selbst wenn sie perfekt erscheint, auch ihren Preis hat.
Epidemien lieben Monokulturen.
Abrutyn und Mueller ist als erstes aufgefallen, dass sich alle Schüler am Gymnasium von Poplar Grove gleich anhören. Hört mal, was Natalie, 'n Mädchen, erzählt hat:
Ich hatte vier Zweien auf meinem Zeugnis, und das war mir total peinlich. Ich wollte meinen Freunden nichts von meinen Noten erzählen, weil da ja jeder 'n Einser-Schüler ist.
Poplar Grove war so klein und isoliert, dass es da scheinbar nur ein Thema gab. In den Pausen ging's nur um Leistung. Und Samantha, auch 'ne Schülerin, hat erzählt:
Oh, jetzt ist Anmeldezeit für die Kurse – wie viele Leistungskurse belegst du nächstes Halbjahr? Oh, jetzt ist Sport-Saison – in welcher Mannschaft spielst du nächstes Halbjahr? Oh, eure Mannschaft war bei der Meisterschaft – habt ihr gewonnen? Welche Position hast du gespielt?… Das sind total normale Gespräche.
Abrutyn und Mueller kennen sich mit dieser leistungsstarken Kultur der oberen Mittelschicht bestens aus. Die sind ja selbst Dozenten. Leute wie die haben diese Kultur ja quasi erfunden. Aber normalerweise gibt's da 'ne Kluft zwischen dem, was die Eltern für ihre Kinder wollen, und dem, was die Kinder – oder zumindest einige von denen – selbst wollen. Aber in Poplar Grove gab's keine Kluft. Abrutyn sagte:
Es gibt da so 'n ganz klares Idealbild von 'nem Kind, und es gibt nicht viele Alternativen, anders zu sein… Und der Druck kam von überall. Von der Schule, die ihren guten Ruf behalten wollte. Von den Eltern, die Angst hatten, dass ihr Kind nicht auf die Uni kommt, auf die sie es schicken wollen. Und von den Kindern selbst, die ständig vier oder fünf Leistungskurse belegen mussten.
Die Idee, dass es für die Kinder nicht viele Alternativen gibt, anders zu sein, die ist schon komisch. Denn die Schule, die war doch eigentlich immer 'n Ort, wo junge Leute entdecken, wie sie anders sein können. Guckt euch mal diese Tabelle an. Das sind die Ergebnisse 'ner Umfrage an 'ner großen Schule im Mittleren Westen aus den 90ern. (Wer in der Zeit zur Schule gegangen ist, dem kommt das bekannt vor.) Hunderte Schüler wurden gefragt, welche "Gruppen" es an ihrer Schule gibt und wie die so drauf sind. Die Zahlen, die geben an, wie viel Prozent der jeweiligen Gruppe zu der jeweiligen Beschreibung passen.
Wer vor oder nach den 90ern zur Schule gegangen ist, dem kommen die Namen der Gruppen vielleicht anders vor, aber das Muster ist das gleiche. So sieht 'ne typische Schule aus. Da gibt's Gruppen, die die Schule mögen, und Gruppen, die die Schule hassen. Es gibt Gruppen, die laut und frech sind, und Gruppen, die fleißig und ruhig sind. Und die Vielfalt ist echt wichtig: Teenager versuchen rauszufinden, wer sie sind. Und wenn's an der Schule viele verschiedene Gruppen gibt, dann finden die eher Leute, mit denen sie sich wohlfühlen. (Es gibt zum Beispiel 'ne interessante Studie, die zeigt, dass Kinder, die sich Gruppen wie den Goths oder Punks anschließen – die sich also so anziehen und stylen, dass das andere abschreckt – eigentlich schüchtern sind. Die ziehen sich so an, dass andere Angst haben, die anzusprechen, weil die Angst haben, andere anzusprechen. Der Goth-Look ist wie 'ne Rüstung.)
[Die Tabelle wird im Skript aufgeführt]
Bradford Brown, einer der Autoren der Studie, der hat so 'n Diagramm, mit dem er die Gruppen an der Schule verortet. Das ist total simpel (und witzig) und zeigt, wie das Schulleben normalerweise so ist.
[Ein Bild von dem Diagramm]
Kennt ihr noch, oder?
In Poplar Grove gab's natürlich auch Gruppen. Aber Mueller und Abrutyn meinten, dass da zwischen den Gruppen kein Platz war. Wenn man für Poplar Grove so 'n Diagramm machen würde, dann würde das so aussehen:
[Ein Bild von dem Diagramm]
Wenn du Skater bist, dann musst du 'n erfolgreicher Skater sein. Wenn du 'n Nerd bist, dann musst du 'n beliebter Nerd sein. Wenn du 'n Punk bist, dann musst du der Punk sein, der auf seine Wunsch-Uni kommt.
Abrutyn und Mueller haben versucht, Kinder zu finden, die sich den Normen von Poplar Grove verweigert haben. War nicht einfach. Hier ist Scott:
Ich weiß, dass die Schule wichtig ist, und ich hab auch manchmal so das Gefühl, oh, wenn ich die Klausur nicht bestehe, dann lande ich auf der Straße… Ich find's scheiße, dass ich so denken muss. Ich würde das gern ändern. Aber ich kann's nicht.
Abrutyn und Mueller meinen, dass Scott sich selbst als Rebell sieht. Aber selbst der hat Angst, dass er auf der Straße landet, wenn er 'ne Klausur nicht besteht. Abrutyn und Mueller schreiben:
Manchmal war er von seinem Gewissen und dem Gefühl überzeugt, dass irgendwas in Poplar Grove nicht stimmt, aber manchmal war er auch unsicher, ob er die Situation richtig einschätzt. Was, wenn? Was, wenn die Kultur in Poplar Grove nicht nur lokal und begrenzt ist, sondern die ganze Welt so funktioniert? Am Ende hat diese Unsicherheit Scotts Ablehnung der Kultur und die Bestätigung seines eigenen Selbstwertgefühls untergraben.
Und dann ist da noch Molly, auch 'ne selbsternannte Rebellin:
Freundlich, mitfühlend und eher ruhig und ernst. Molly kannte sich mit den Feinheiten des "idealen Kindes" bestens aus. Sie war ja selbst so. Sie meinte, Schule sei "sehr wichtig", und sie wollte fleißig sein und gute Noten schreiben. Sie hat Sport gemacht (zwar nicht Lacrosse, aber trotzdem) und sich mit den beliebten Mädchen angefreundet. Nach dem Schulabschluss ist sie auf 'ne tolle Uni gegangen.
So sieht Rebellion in 'ner Monokultur aus: 'ne so geringfügige Abweichung vom Weg, dass man ein MRT bräuchte, um die zu erkennen. Durch diese fehlende "Gruppenvielfalt" konnte Poplar Grove in den Schulrankings so gut abschneiden. Und das hat auch die Eltern beruhigt. Dein Kind ist vielleicht 'n Außenseiter, aber wenigstens ist es 'n erfolgreicher Außenseiter.
Aber was man in 'ner Welt der Gleichförmigkeit verliert, ist Widerstandsfähigkeit. Wenn in einer der vielen Subkulturen, aus denen die Schule in den Diagrammen besteht, irgendwas schiefläuft, dann kann sich das nicht so leicht auf die anderen Subkulturen ausbreiten. Die Gruppen an der Schule sind zu verschieden: Jede hat ihre eigenen "Antikörper", die es 'ner Epidemie erschweren, sich ungestört in der ganzen Schule auszubreiten.
'Ne Monokultur, die hat dagegen keine Abwehrkräfte. Wenn die Epidemie erstmal drin ist, dann gibt's nichts, was sie aufhalten kann.
Richard, der Immobilienmakler, der Poplar Grove so gut kannte wie kaum jemand, der hat das verstanden. Der hat seine Töchter lieber in Annesdale zur Schule geschickt, in die Stadt, die so viele Leute aus Poplar Grove verachtet haben. "Das war 'ne Entscheidung als Eltern", meinte er.
Ich fand, dass das mehr "die echte Welt" war. Und da war nicht so viel Druck. [Poplar Grove] ist bekannt für diesen hohen Druck, außergewöhnlich zu sein. Der Beste in der Band sein. Der beste Basketballspieler… Du musst auf's MIT gehen. Du musst… Also, dieser extreme Drang, der Beste zu sein. Das ist so deren Ruf. Meine Mutter ist Lehrerin an 'ner Hauptschule [in Poplar Grove], und die erzählt immer, dass Eltern zu ihr kommen, weil sie dem Kind 'ne Zwei gegeben hat und die total ausrasten, weil das ja ihre Chancen auf 'ne Ivy League-Uni ruiniert.
Der hat das gleiche erzählt wie Abrutyn und Mueller: den Druck.
Der ist spürbar, man kann den richtig fühlen. Und wir wollten unsere Kinder dem nicht aussetzen. Ich hör das ja auch, wenn ich da bin, um Häuser zu verkaufen: "Warum ziehen Sie um?" "Es ist einfach zu viel Druck. Mein Kind passt da nicht rein. Das ist so 'ne soziale Mühle." Das ist ja bekannt. Kannst jeden fragen.
Richard kannte auch die Direktorin des Gymnasiums von Poplar Grove. Ich hab ihn gefragt, was die denn von dem Druck hält.
"Die sagt, 'DIE ELTERN TICKEN DOCH NICHT RICHTIG.'"
1982, ein paar Monate bevor Stephen O'Brien seine Hauttransplantationsexperimente im Wildlife Safari in Oregon angefangen hat, hat der Safari beschlossen, seine Gepardensammlung zu erweitern.
"Ich bin nach Sacramento gefahren und hab da vom Zoo zwei Geparden abgeholt", erinnerte sich Melody Roelke-Parker. Roelke-Parker war die Tierärztin, die sich um die Geparden gekümmert hat. "Die hießen Toma und Sabu. Die sahen eigentlich ganz gesund aus. War nichts Auffälliges. Wir haben die dann mitgebracht und nach 'ner Woche ungefähr in unsere Zuchtgruppe integriert."
Roelke-Parker liebte Geparden. Die hat sogar selbst zwei Gepardenbabys aufgezogen, weil die Mutter die verlassen hatte.
Ich hatte also zwei Geparden bei mir zu Hause, was total toll war, weil die schnurren und kuscheln und einen aus dem Bett schubsen. Hätte man gar nicht gedacht, wenn man die so sieht, aber mit denen zusammenzuleben war wie 'n Traum. Ich war ihre Familie… Ich bin immer mit denen zur Arbeit gefahren. Die saßen auf dem Beifahrersitz, ganz aufrecht, und haben gekuschelt, und die Köpfe waren so hoch, und es war total lustig, wie die Leute auf der Autobahn total panisch reagiert haben.
Die Gepardenkolonie im Wildlife Safari war wie ihre Großfamilie. Deswegen war es so schlimm, was mit einem der neuen Geparden passiert ist.
"Zwei Monate später ist der eine von denen, der Kater, zusammengebrochen. Und wir haben uns gefragt, was zur Hölle das soll. Und dann haben wir den sofort in unsere Klinik gebracht und 'ne große Untersuchung gemacht." Die Diagnose war Nierenversagen. Der Gepard ist gestorben.
Okay, das war schon komisch, weil der ja eigentlich ganz gesund aussah. Aber wenn Tiere in 'ne neue soziale Struktur kommen, dann haben die ja auch Stress, kriegen anderes Futter und so weiter. Also hab ich gedacht, das war so 'n Einzelfall.
Aber dann hat Roelke-Parker gemerkt, dass auch andere Geparden in der Kolonie krank werden.
Die haben irgendwelche unspezifischen Symptome gehabt, Durchfall und komische Zahnfleischerkrankungen. Wenn die dich angefaucht haben, dann hat man gesehen, dass das Zahnfleisch total gereizt war und geblutet hat. Die Katzen waren total schlapp. Die haben total abgenommen… Wir haben Abstriche genommen und komische Bakterien gefunden, die wir mit Erythromycin behandelt haben. Aber ich wusste nicht, was das war. Ich hatte keine Ahnung.
Ein Gepard ist so krank geworden, dass Roelke-Parker ihn einschläfern musste. Und dann hat sie 'ne Autopsie gemacht.
Als ich den Bauch aufgemacht hab, da hab ich diese gelben, zähflüssigen, fadenziehenden… typischen Symptome für diese Krankheit namens Feline Infektiöse Peritonitis gefunden. Die war bei Hauskatzen bekannt, aber bei Geparden hat's das noch nie gegeben.
FIP, wie die Krankheit genannt wird, ist 'n Coronavirus – 'n Verwandter von dem COVID-Virus, das Jahrzehnte später so viel Schaden angerichtet hat. Bei Hauskatzen ist die Krankheit selten tödlich. Aber für die Geparden war die verheerend. Roelke-Parker hat regelmäßig Blutuntersuchungen bei allen Geparden im Safari gemacht, und dann hat sie sich die alten Proben nochmal angeguckt und nach Antikörpern gegen FIP gesucht. Bevor Toma und Sabu da waren, da hatte keiner ihrer Geparden irgendwelche Anzeichen für FIP. Aber nachdem die da waren, da hatte es quasi jeder. Die beiden Katzen aus Kalifornien hatten 'ne Mini-Epidemie ausgelöst.
Nach ungefähr acht Monaten sind die ersten Tiere gestorben, und dann ging's Schlag auf Schlag. Echt schlimm. Achtzig Prozent der Katzen unter sechzehn Monaten sind gestorben.
Das war 'n Blutbad. Die Tiere sind krank geworden. Aber die haben das Virus irgendwie nicht losgeworden.
Ihr Immunsystem hat versucht, sich zu wehren, und hat Antikörper gebildet, und die Antikörperwerte sind immer weiter gestiegen, bis die Blutwerte total verrückt gespielt haben. Und dann gab's diese immunologische Krise.
Einer nach dem anderen sind ihre Katzen gestorben.
Das waren wandelnde Gerippe. Die Symptome bei Hauskatzen – sagen wir mal, FIP hat zehn Symptome, aber bei einer Katze treten vielleicht nur ein paar davon auf. Aber die Geparden, die hatten alle. Die hatten Durchfall, die hatten die Entzündungen im Maul, die haben abgenommen…
Sie hat alles versucht: Magensonden, Immunbooster, Flüssigkeit. Nichts hat geholfen. "Wir haben keinen von denen retten können… Wenn die Krankheit einmal ausgebrochen ist, dann ist es vorbei."
Roelke-Parker hat das Ergebnis von Stephen O'Briens Forschung gesehen. Die Geparden waren alle gleich. Das eine trächtige Weibchen am Ende des Pleistozäns, das aus seiner Höhle kam und ganz allein war, das war rein zufällig anfällig für das Feline Coronavirus. Und weil alle Geparden von der abstammen, waren jetzt alle anfällig. Als die Geparden noch in der Wildnis rumgelaufen sind, da war das egal. Das sind Einzelgänger: Jeder Gepard hat 'n riesiges Revier, so weit weg wie möglich von den anderen. 'Ne Epidemie kann 'ne ganze Gepardenpopulation in der Wildnis nicht auslöschen, weil die Geparden Abstand halten, quasi. Aber die Menschen haben das geändert. Die haben viele Geparden auf engstem Raum zusammengebracht. Die Geparden-Epidemie, die war die Schuld der Zoos. "Wenn ein Tier krank wird, dann werden alle krank", meinte Roelke-Parker. "Und genau das ist passiert."
Dann hat sie gemerkt, dass das nur die Spitze des Eisbergs war.
"Ich hab erfahren, dass es in Kanada auch 'n Ausbruch gab und dass der Zoo das total unter den Teppich gekehrt hat", erzählte sie. "Die haben's niemandem erzählt, keiner wusste davon, aber die haben alle ihre Geparden getötet. Das gleiche ist in 'nem Zoo in Irland passiert. Aber keiner hat drüber geredet."
Sie und O'Brien sind dann zu 'ner Zoo-Konferenz in Florida gefahren, und da hat sie beschlossen, dass sie das jetzt öffentlich macht. Die hat erzählt, dass es in ihrem Zoo in Oregon 'ne Epidemie gibt. Danach kam 'n Tierarzt von 'nem Zoo aus Kalifornien zu Roelke-Parker und meinte: "Mein Chef ist gerade in Oregon, um 'n Gepard abzuholen."
Und ich hab gedacht, oh mein Gott. Denen hat ja keiner was erzählt. Der Direktor hat denen nichts von der Epidemie erzählt, und ich hab gesagt, ihr wollt den nicht haben. Auf keinen Fall. Dann hat die sofort ihren Direktor angerufen und gesagt, du bringst keinen Geparden vom Wildlife Safari mit nach Hause. Und als ich nach Hause kam, da hat man mir gesagt, dass ich mir 'n neuen Job suchen soll. Weil ich das öffentlich gemacht hab – und schlimmer noch, weil ich durch meine Aktion 'n Verkauf verhindert hab.
Meine Mitarbeiter haben gekündigt. Die waren total empört, wie ich behandelt wurde. War echt schlimm.
In Poplar Grove hat die Epidemie angefangen, als 'ne junge Frau namens Alice von 'ner Brücke gesprungen ist. War am Tag, und da waren Leute in der Nähe, also hat Alice überlebt. Die kam dann ins Krankenhaus.
"Alice war so ziemlich der Prototyp eines Teenagers aus Poplar Grove: intelligent, kontaktfreudig, ehrgeizig und hübsch, so die Meinung der anderen", schreiben Mueller und Abrutyn.
Ihr Selbstmordversuch war schockierend, und wie alle schockierenden Ereignisse in kleinen Gemeinden wurde das viel diskutiert. Warum sollte 'n Mädchen, das scheinbar alles hat und keine Anzeichen von Problemen zeigt, versuchen, sich das Leben zu nehmen?
Sechs Monate später ist Zoë, 'ne Mitschülerin und Teamkollegin von Alice, von der gleichen Brücke gesprungen. Die hat's nicht überlebt. Vier Monate später hat sich Steven, 'n Klassenkamerad von Zoë und Alice, mit 'ner Waffe umgebracht. Die Gemeinde hatte jetzt drei Versuche und zwei Tote. Dann sind sieben Jahre vergangen. Da hat man vielleicht gedacht, dass das alles nur 'n Ausrutscher war. Aber dann gab's innerhalb von drei Wochen zwei weitere Selbstmorde – beides Jungs. Dann ist Kate, 'n "beliebtes" Mädchen, die mit den beiden Jungs befreundet war, von der gleichen Brücke gesprungen wie Alice und Zoë. Am besten lassen wir Mueller und Abrutyn erzählen, was dann passiert ist:
Weniger als ein Jahr nach Kates Tod gab es 'n größeren Ausbruch: Charlotte und drei ihrer engen Freunde haben sich innerhalb von sechs Wochen umgebracht. Von da an hat sich jedes Jahr mindestens ein Jugendlicher oder junger Erwachsener aus Poplar Grove das Leben genommen. In manchen Jahren gab es mehrere Selbstmorde. In den zehn Jahren zwischen 2005 und 2016 hat das Gymnasium von Poplar Grove, 'ne Schule mit ungefähr 2.000 Schülern, vier Mädchen (fünf, wenn man 'n Mädchen mitzählt, das erst kurz vorher die Schule gewechselt hatte), zwei Schüler der Mittelschule und mindestens zwölf ehemalige Schüler durch Suizid verloren.
Normalerweise gäbe es an 'ner Schule mit 2.000 Schülern einen oder zwei Selbstmorde in zehn Jahren. Poplar Grove war weit davon entfernt. Die Kinder in der Mittelschule haben von den Selbstmorden am Gymnasium gehört. Dann sind die selbst ans Gymnasium gekommen und haben das alles nochmal erlebt. Die Leute sind nach Poplar Grove gezogen, weil die gedacht haben, dass es da sicher ist – 'ne Zuflucht vor der Gewalt und Unsicherheit, die in so vielen amerikanischen Gemeinden herrscht. Deswegen war diese Selbstmordepidemie so überraschend. Wie konnte das passieren? Aber eigentlich sollte das nicht überraschend sein. Poplar Grove war 'ne Monokultur – 'ne lange, gerade Autobahn ohne Ausfahrt.
Als der erste gestorben ist, da war das 'ne Ausnahme. Als es wieder passiert ist, da war das besorgniserregend. Aber