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Also, ich frag mich ja manchmal, wie wir eigentlich an diesen Punkt gekommen sind, ne? Also, ich mein, denk mal an den Scott. Der arbeitet zehn Jahre in diesem Job, Knastaufseher in so einem Frauengefängnis, und dann kriegt er plötzlich ne Mail von seinem Chef: "Du musst an so einem Wellness- und Resilienzprogramm teilnehmen." Seine Reaktion? "Scheiß drauf!", zack, Mail gelöscht.
Zu dem Zeitpunkt ging's ihm echt dreckig. War mitten in so einer üblen Scheidung, finanziell am Arsch, musste irgendwie gucken, wie er für seine vier Kinder ne neue Existenz aufbaut. Konnte sich kaum noch Salzstreuer leisten, weißt du? Und klar, er hat erstmal die Ex-Frau beschuldigt, die ihm angeblich alles wegnimmt. Ist ja auch einfacher, jemand anderem die Schuld zu geben, ne? Fühlt sich halt kurzzeitig besser an.
Er selbst hätte gesagt, er ist der Prototyp des Anti-Wellness-Typs. Zehn Jahre im Knast, am Anfang hat er seinen Job geliebt, aber irgendwann wollte er da einfach nur noch weg. War total streitsüchtig und gleichzeitig total verschlossen. Wenn jemand seine Entscheidungen kritisiert hat, hat er direkt angefangen zu streiten, ging nur noch darum, Recht zu haben, nicht um die Sache selbst.
Und zu Hause war's auch nicht viel besser. Er hat seine Söhne ähnlich erzogen wie sein Vater ihn: keine Diskussion, keine Widerrede, nur seine Meinung zählt. Viel Geschrei, wenig Freude, wenig Zuneigung. Er hat sich nur auf Arbeit und Familie konzentriert, und jeden Abend gehofft, dass er den nächsten Tag irgendwie ohne größere Probleme übersteht.
Was aber krass ist, im Gegensatz zu vielen anderen "Rock Bottom"-Geschichten, hat Scott in dieser Zeit aufgehört zu trinken. War, als ob nicht mal mehr seine alten Laster ihm irgendwas hätten geben können. Er wusste, er ist mental total am Ende, aber er hatte nicht die Kraft, da wieder rauszukommen.
Am Ende hat ihn ne Kollegin, die Faye, dazu gebracht, sich für das Programm anzumelden. Die kannte ihn schon ewig und wusste, dass er das gebrauchen könnte. Die beiden hatten sich in der Zeit, wo es Scott so schlecht ging, fast aus den Augen verloren. Er war nicht mehr im Pausenraum, ist nicht mehr mit zum After-Work-Drink gegangen, hat im Flur immer nur runtergeguckt und kaum noch Kollegen gegrüßt.
Er war ja eigentlich immer einer der freundlichsten Typen, und Faye fand's total schlimm, ihn so zu sehen: distanziert, still, fast misstrauisch. Irgendwann ist sie dann in sein Büro gekommen und hat ihm gesagt, er soll aufhören, sich gegen das Wellnessprogramm zu wehren und sich einfach anmelden. Er bräuchte das, hat sie gesagt. Scott mochte die Faye immer, auch wenn sie sich in letzter Zeit nicht mehr so oft gesehen hatten, und so hat er dann zähneknirschend zugestimmt.
Und das war genau der Schubs, den er gebraucht hat. Das Programm hat ihm die Augen geöffnet. Die Leute da drin waren nicht seine Feinde. Die haben ihn nicht für nen Idioten gehalten, zumindest hat er das nicht gedacht. Warum hat er überhaupt immer mit denen gestritten? Warum war er immer auf Krawall gebürstet? Wäre es nicht viel besser, zusammenzuarbeiten? Er hatte denen nicht vertraut, überhaupt niemandem, in den Monaten nach der Trennung von seiner Frau. Aber hatten die das verdient? War er nicht mal einer der beliebtesten Kollegen gewesen? Hatte er nicht mal geglaubt, dass sie alle dasselbe Ziel haben: etwas zu bewegen?
Scott konnte gar nicht mehr genau sagen, wann er aufgehört hat, sich für die Ergebnisse seiner Arbeit zu interessieren. Früher hat er sich echt um die Frauen im Gefängnis gekümmert, gehofft, dass sie da irgendwas Sinnvolles für sich finden und nach ihrer Entlassung ein besseres Leben aufbauen können. Aber in letzter Zeit hat er einfach nur noch seine Zeit abgesessen. Und er dachte, das geht allen anderen auch so.
Wann hatte er eigentlich aufgehört, auf die Bedürfnisse der Menschen um ihn herum zu achten? Warum fühlten sich Arbeit und Familie wie endlose To-Do-Listen an, nicht wie Orte, wo man etwas beitragen kann? Warum hat er alle Verbindungen zu den Menschen abgebrochen, die er geliebt, gemocht und bewundert hat? Warum hat er seinen "Fürsorge-Gen" abgeschaltet? Und was hat ihm seine ganze Wut, seine Isolation und seine "Ist-mir-doch-egal"-Einstellung eigentlich gebracht? Nichts, hat er gemerkt. Er saß da in diesem Raum und hat die ganzen Leute angeguckt, mit denen er sich mal so verbunden gefühlt hat, und er hat beschlossen, sein Herz wieder zu öffnen, seine Augen wieder zu öffnen, wieder an irgendwas zu glauben.
Der Trainer von dem Wellnessprogramm hat gesagt, dass das Programm dazu da ist, dass sie mitmachen und aktiv was über sich lernen. Die sollten sich wohlfühlen, aufstehen, wenn sie sich strecken müssen, rumlaufen, wenn sie das brauchen. Keine Regeln, keine Einschränkungen. Für Scott war das ne krasse Veränderung. Es ging darum, dass die Teilnehmer was lernen, nicht nur darum, dass der Lehrer vorne steht und redet. Das war ne ganz andere Erfahrung, die viel besser zu ihm gepasst hat.
Und er fand's auch gut, dass es in dem Training so stark um das "Growth Mindset" ging, also um die Vorstellung, dass man sich immer weiterentwickeln kann. Die haben daran gearbeitet, ihre eigenen Stärken zu erkennen und zu verstehen. Das hat ihm die Augen geöffnet, wie er von anderen wahrgenommen wird und wie er sich selbst sieht. Nach ein paar Stunden ist ihm wieder eingefallen, dass eine seiner Stärken ist, dass er gut mit Menschen umgehen kann, zumindest war er das mal. Und er hat gemerkt, dass er diese Fähigkeit wieder aufbauen kann, dass er sich überhaupt in vielen Bereichen weiterentwickeln kann.
Er hat sich total verändert gefühlt. Nach ein paar Stunden in diesem Programm war es, als ob ihm jemand nen Eimer Eiswasser über den Kopf gekippt hat. Er war wieder wach. Und er wollte diese Erfahrung unbedingt teilen. Er ist zu Faye gegangen, um sich bei ihr zu bedanken, und dann hat er tief Luft geholt und sie gefragt, ob sie nicht noch einen Wellnesskurs mit ihm machen will, diesmal mit dem Ziel, selbst Trainer zu werden.
Scott wusste es damals noch nicht, aber er hatte schon die ersten Schritte in Richtung Aufblühen gemacht: Er hat wieder angefangen, Kontakte zu seinen Kollegen zu knüpfen, allen voran zu Faye, und er hat vielleicht seine Bestimmung gefunden: sich mit Menschen zu verbinden und ihnen zu helfen, ihre eigenen Stärken zu finden. Das Programm hat sich auch mit Achtsamkeitstraining und Meditation beschäftigt. Er hat angefangen, mitfühlend und objektiv in sich hineinzuschauen, sich in bestimmten Momenten zu beruhigen, sich auf das zu konzentrieren, was er kontrollieren kann, anstatt über das zu jammern, was er nicht ändern kann. Er hat angefangen, sich selbst, andere und die Umstände, die sie geprägt haben, klarer zu sehen. Und er dachte, dass auch andere von dem profitieren könnten, was er da lernt. Er hat angefangen, seinen Job darin zu sehen, sich um die Gefangenen und ihr Wohlergehen zu kümmern, nicht nur sie zu bewachen.
Die Frauen in seinem Gefängnis hatten die Hölle hinter sich, und er wusste genau, wie sich die Traumata, die sie erlebt hatten, auf ihr Wohlergehen auswirken. Er hatte ja schon wieder Kontakt zu Faye aufgenommen. Er dachte, es wäre vielleicht einen Versuch wert, auch wieder Kontakt zu den Frauen aufzunehmen und ihnen vielleicht zu helfen, die Dinge wiederzufinden, die sie in ihrem Leben verloren haben: die Art von Verbindungen, Sinn und Zweck, ohne die niemand leben sollte.
Und genau das ist ja so ein Knackpunkt. Einsamkeit ist oft Teil von diesem Gefühl des Dahinsiechens.
Scotts Geschichte zeigt, wie man sich aus einem Gefühl der Niederlage, der Bitterkeit und des Rückzugs ins Leben wieder zu einem Sinn und etwas findet, für das es sich zu leben und zu kämpfen lohnt. Das Leben kann so viel schöner sein, wenn wir etwas Größeres und Besseres finden, für das wir leben können.
Es geht darum, dass wir oft unter dem Mangel an warmen, vertrauensvollen Beziehungen leiden, unter dem Gefühl, nicht dazuzugehören und in einer Gemeinschaft nicht akzeptiert zu werden. Und genau das ist das Problem, dieses Dahinsiechen, diese innere Leere.
Es ist erschreckend, wie viele Menschen sich einsam fühlen. Und das hat natürlich auch mit der Art und Weise zu tun, wie wir leben. Früher haben die Leute viel enger zusammengelebt, zusammen gearbeitet, zusammen gekämpft. Aber seit dem 20. Jahrhundert, besonders in den Industrieländern, leben immer mehr Menschen alleine. In manchen Städten sind es sogar bis zu 60 Prozent. Und die Leute, die alleine leben, haben seitdem auch immer weniger persönlichen Kontakt.
Man ist sozial isoliert, wenn man wenige Freunde und Verwandte hat oder nur wenig Kontakt zu ihnen. Aber es ist ein Unterschied, ob man einfach nur viel Zeit alleine verbringt oder ob man sich wirklich einsam fühlt. Man kann auch einsam sein, wenn man viel Zeit mit Leuten verbringt, zu denen man keine enge Beziehung hat. Oder man verbringt wenig Zeit mit anderen, aber die Zeit, die man hat, ist intensiv und voller Liebe, Wärme und Vertrauen.
Trotzdem, Einsamkeit, soziale Isolation und Alleinleben führen oft zu einem früheren Tod. Studien haben gezeigt, dass das Risiko eines vorzeitigen Todes um bis zu 32 Prozent steigt, wenn man alleine lebt.
Einsamkeit kommt selten alleine. Da ist zum Beispiel mein Freund Jonas, der war über 80. Nach seiner ersten tollen Rentnerdekade hatte er das Gefühl, nichts mehr beitragen zu können und seinen Sinn im Leben verloren. Er hat sich immer mehr aus seinen Vereinen und Freizeitaktivitäten zurückgezogen, nachdem kurz nacheinander seine langjährige Partnerin und sein bester Freund gestorben waren.
Das hatte natürlich Folgen. Er war immer weniger mit sich selbst zufrieden, mochte immer weniger Teile seiner Persönlichkeit, hatte weniger Selbstvertrauen und das Gefühl, sich nicht mehr weiterzuentwickeln. Er dachte, sein Leben sei vorbei und das länger leben sei kein Geschenk mehr, sondern ein Fluch.
Jonas hat nicht nur unter Einsamkeit gelitten, sondern auch unter dem Gefühl, von sich selbst, von anderen und von dem Gefühl, dass sein Leben etwas bedeutet, abgeschnitten zu sein. Einsamkeit geht oft Hand in Hand mit dem Verlust von Sinn, persönlicher Entwicklung, sozialem Beitrag, Kompetenz und Autonomie. Manchmal ist sie die Ursache, manchmal die Folge davon.
Was auch krass ist: Es ist für viele Menschen total unangenehm, alleine in einem Raum zu sein. Es gibt da so ne Studie, die ist echt witzig. Die Teilnehmer durften keine Handys, Computer oder sonstiges benutzen, sondern sollten einfach nur mit ihren Gedanken alleine sein. Über die Hälfte konnte sich nicht konzentrieren, und fast 90 Prozent hatten das Gefühl, ihre Gedanken schweifen ab. Und fast die Hälfte fand die Aufgabe total blöd.
Aber das Schlimmste kommt noch: Die Teilnehmer konnten sich selbst Stromschläge verpassen, wenn sie wollten. Und tatsächlich haben das viele gemacht! Fast 70 Prozent der Männer und 25 Prozent der Frauen haben sich mindestens einmal selbst einen Stromschlag gegeben, nur um irgendwas zu fühlen, anstatt nichts zu fühlen.
Die Leute haben sich also lieber selbst wehgetan, als mit sich alleine zu sein. Stille und Ruhe können also echt zur Qual werden. Das kann sich wie ne Strafe anfühlen. Und das liegt daran, dass Stille und Ruhe irgendwann in Leere und Stillstand umschlagen und zu ner tiefen Quelle des Schmerzes werden können.
Wenn man immer wieder hört, dass etwas "schlecht" ist, egal ob es sich um psychischen oder physischen Schmerz handelt, werden immer tiefere Schmerzbahnen im Gehirn gebildet, die die Sensibilität des zentralen Nervensystems für Schmerz erhöhen. Und wenn diese Schmerzbahnen zu oft benutzt werden, werden selbst kleinste Stressoren vom Gehirn als riesige Belastung interpretiert.
Es ist egal, ob es eine Nadel ist, die in die Haut sticht, oder ob man sich schämt, sich ungeliebt fühlt oder sich eine hoffnungslose Zukunft ausmalt: Im Gehirn wird immer dasselbe Schmerzzentrum aktiviert.
Und wer kann schon ehrlich sagen, dass ein gebrochener Knochen mehr wehtut als ein gebrochenes Herz? Es tut weh, in Angst ohne Sicherheit zu leben. Es tut weh, ausgegrenzt zu werden, sich zu schämen, sich ungeliebt zu fühlen. Es tut weh, Diskriminierung zu erfahren, die einen erniedrigt. Und das kann sich anfühlen, als ob man bedroht oder angegriffen wird. Deshalb schüttet unser Körper auch Stresshormone aus, egal was den Schmerz verursacht.
Dieser Schmerz soll uns dazu anregen, etwas zu unternehmen, zum Beispiel ne Therapie, um die Erinnerungen und Denkmuster zu verarbeiten, die den Schmerz verursachen. Aber viele Leute können sich das nicht leisten oder sind nicht in der Lage, darauf zu reagieren, und greifen dann zu Drogen oder Alkohol, um den Schmerz zu betäuben.
Man sucht also nach der Verbindung, die man so dringend braucht, in Suchtmitteln und Verhaltensweisen, weil man sie im echten Leben nicht finden kann, besonders wenn das echte Leben selbst eine Quelle von Schmerz ist. Aber die Verbindung kann auch in beide Richtungen wirken. Das Fehlen von Verbindung kann Schmerz verursachen, und für manche kann die Anwesenheit von Verbindung eine Quelle von Trauma und Schmerz sein, die man zu verdecken versucht.
Scott wollte ja auch irgendjemanden für seinen Schmerz verantwortlich machen, am liebsten seine Frau. Und wie oft suchen wir auch nach ner einfachen Erklärung, nem Schuldigen? Soziale Medien sind da ja immer so n beliebtes Ziel. Klar, seit es Smartphones gibt, verbringen die Leute weniger Zeit mit persönlichen Interaktionen. Aber soziale Medien sind nur ein Werkzeug, und wir können selbst entscheiden, ob wir es nutzen wollen oder nicht. Manchmal ist es eben besser, jemanden anzurufen, anstatt ne Mail zu schreiben, um mehr Wärme, Vertrauen und Zugehörigkeit zu schaffen.
Und viele Anzeichen für mangelnde Verbindung gab es schon lange, bevor es Smartphones gab. Das Vertrauen in andere Menschen, in Institutionen, das hat schon lange abgenommen.
Und es gibt auch immer weniger Leute, die sich in religiösen Gruppen engagieren. Laut ner Umfrage gehört nur noch knapp die Hälfte der Amerikaner ner Religionsgemeinschaft an. Und das hat wohl auch was mit den Todesfällen aufgrund von Verzweiflung zu tun, also Selbstmord, Alkoholmissbrauch und Drogenüberdosierungen. Die Leute fühlen sich einsamer und isolierter, und das führt dann dazu.
Es ist halt so: Um Verbindungen aufzubauen, braucht man bestimmte Fähigkeiten.
Wenn man sich mal so in der Welt umschaut, hat man manchmal das Gefühl, dass die Leute eher daran arbeiten, gemeiner zu sein, anstatt empathischer. Negative Kommentare und Schlagzeilen bekommen ja auch viel mehr Aufmerksamkeit. Man übt also die falschen Fähigkeiten. Und das Problem ist: Wir denken, dass mehr soziale Kontakte unsere Einsamkeit reduzieren, weil sie unserem Leben Sinn geben. Aber es kommt halt auch darauf an, was beide Seiten in die Beziehung einbringen können.
Freundschaften zu schließen, die von Wärme, Vertrauen, Geduld, gegenseitigem Verständnis und Empathie geprägt sind, erfordert Übung und Arbeit. Und wenn man viel alleine ist, verlernt man das vielleicht.
Verbindungen haben auch mit gemeinsamen Interessen und Werten zu tun, oder zumindest mit Akzeptanz, Toleranz und Neugierde, wenn man nicht alles teilt. Und wenn man sich mit jemandem verbindet, teilt man auch ein Stück von sich selbst und seinem Leben. Die Frage ist, ob wir überhaupt etwas Sinnvolles zu teilen haben. Aber ich glaube schon.
Verbindungen und ein sinnvolles Leben sind wechselseitig verstärkend.
Man könnte ja denken, dass soziale Kontakte einem Leben Sinn geben, aber es ist oft auch andersrum. Aufblühen ist ja die Kombination aus Verbindung, also warmen und vertrauensvollen Beziehungen und dem Gefühl, zu einer Gemeinschaft zu gehören, mit Sinn im Leben und anderen Faktoren, die ein sinnvolles Leben ausmachen. Ein sinnvolles Leben mit sinnvollen Verbindungen, das ist doch das, was wir alle wollen. Und das ist vielleicht auch die Antwort auf das moderne Problem des Alleinlebens, der Einsamkeit und des Dahinsiechens.
Wenn man Leute isoliert und zu viel Zeit alleine verbringen lässt, dann leidet auch der Sinn im Leben. Wenn man sich ausgegrenzt fühlt, verliert man auch das Gefühl, dass das Leben einen Sinn hat. Und wenn man sich wieder zugehörig und akzeptiert fühlt, dann steigt auch das Gefühl, einen Sinn im Leben zu haben.
Einsamkeit hängt also eng mit unserem Sinn im Leben zusammen. Ein sinnvolles Leben motiviert uns, uns mit anderen zu verbinden. Und Studien haben gezeigt, dass der Sinn im Leben einen größeren Einfluss auf die Einsamkeit hat als die Anzahl der sozialen Kontakte.
Wir scheinen uns also unser eigenes Bett zu machen. Obwohl wir wissen, dass wir menschliche Verbindungen brauchen, um aufzublühen, treffen wir immer wieder Entscheidungen, die dazu führen, dass wir uns einsamer fühlen. Verbindungen machen unser Leben sinnvoll, und ein sinnvolles Leben macht Lust darauf, sich mit anderen zu verbinden und das Leben mit ihnen zu teilen.
Und dann gibt es noch das Thema Diskriminierung.
Für manche ist die Welt nicht nur ein Ort der Entfremdung, sondern ein aktiv feindseliger Ort. Diskriminierung, sei es aufgrund von Rasse, ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdruck oder sozioökonomischem Status, unterdrückt viele Faktoren, die wichtig sind, um aufzublühen.
Schwarze Amerikaner berichten zum Beispiel von besonders wenig sozialer Akzeptanz. Und das ist ja auch verständlich, wenn man bedenkt, wie sie in der Gesellschaft behandelt werden.
Wie kann man überhaupt den Preis dafür berechnen, sein Leben lang mit Stereotypen, Vorurteilen, Ungerechtigkeit und Brutalität konfrontiert zu sein? Das hinterlässt natürlich Spuren, sowohl körperlich als auch psychisch.
Selbst wenn man es schafft, erfolgreich zu sein, kann das seinen Preis haben. Es gibt so ein Konzept, das nennt sich "John Henryism". Das beschreibt den Stress, der entsteht, wenn man versucht, mit sozialer und wirtschaftlicher Notlage, Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung, niedrigem Einkommen, schlechter Bildung, schlechtem Wohnraum, Segregation und Gewalt umzugehen. Das führt zu chronischem Stress.
Und es gibt auch dieses Phänomen, das man als "Black-White Paradox of Health and Illness" bezeichnet. Obwohl schwarze Amerikaner mit mehr sozialer Ungleichheit, Diskriminierung, Stress und körperlichen Erkrankungen konfrontiert sind, berichten sie von weniger psychischen Problemen und einem höheren Maß an Aufblühen als die weiße Bevölkerung. Wie kann das sein?
Manche Studien deuten darauf hin, dass das mit ihrem höheren Selbstwertgefühl und ihrer stärkeren sozialen Unterstützung zusammenhängt. Und soziale Unterstützung ist ja auch super wichtig: das Gefühl, dass man sich auf andere verlassen kann, wenn man Hilfe braucht.
Jedes Jahr werden Studenten zu ihrer psychischen Gesundheit befragt, auch zum Thema Dahinsiechen. Und auch da zeigt sich dieses Paradox: Schwarze Studenten blühen häufiger auf als weiße Studenten. Aber andere Studien zeigen, dass dieser "Vorteil" mit dem Alter verschwindet. Das Leben in der amerikanischen Erwachsenenwelt scheint die Leute kaputt zu machen.
Es ist halt wichtig, diese Zahlen im Kontext ihrer Lebenserfahrungen zu betrachten, also der Erfahrung, von der Gesundheitsbranche abgewiesen, unterdiagnostiziert und unterversorgt zu werden. Ärzte schätzen den Schmerz schwarzer Patienten oft geringer ein als den von weißen Patienten und verschreiben ihnen weniger Schmerzmittel. Und schwarze Studenten suchen sich eher Unterstützung bei Familie und Freunden als bei professionellen Therapeuten.
Und es gibt auch das Problem der Stigmatisierung. Viele schwarze Studenten glauben, dass andere schlecht über jemanden denken würden, der sich in psychotherapeutische Behandlung begibt.
Auch die Zunahme von Hassverbrechen und verbalen Angriffen gegen Asiaten seit Beginn der Pandemie ist erschreckend. Viele Asiaten leiden unter dem Stress und der emotionalen Belastung, jahrelang in ständiger Alarmbereitschaft zu leben.
Und auch da zeigen Studien, dass viele asiatisch-amerikanische Studenten unter Dahinsiechen leiden und sich seltener in psychotherapeutische Behandlung begeben.
Und dann gibt es noch die LGBTQ+-Community. Studien zeigen, dass ein großer Teil der Transgender- und nicht-binären Menschen unter Dahinsiechen leidet und dass heterosexuelle Studenten häufiger aufblühen als lesbische, schwule und bisexuelle Studenten. Die Rate psychischer Erkrankungen ist bei LGBTQ+-Studenten doppelt so hoch.
Dieses düstere Bild von den Kosten der Diskriminierung sollte uns alle dazu bringen, politische und soziale Veränderungen zu fordern. Eine Therapie kann die Probleme nicht lösen, für die die Betroffenen nichts können. Die Lösung ist nicht mehr Selbstfürsorge, sondern ein Kampf gegen Intoleranz, Ignoranz, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Homophobie.
Trotzdem müssen wir uns auch um uns selbst kümmern. Gesundheitsgerechtigkeit ist ein Thema der sozialen Gerechtigkeit, das sowohl systemische Veränderungen als auch unmittelbare Versorgung erfordert.
Und Studien zeigen, dass soziale und ökologische Faktoren eine große Rolle für die Gesundheit spielen. Wir sind nicht nur biologische Wesen, sondern auch von unserer Umgebung abhängig. Und für die psychische Gesundheit sind vor allem die Qualität unserer Beziehungen und die Stärke unserer Gemeinschaft wichtig. Fühlen wir uns gesehen und unterstützt? Studien haben gezeigt, dass diese sozialen Ressourcen besonders wichtig für Menschen sind, die in sozioökonomisch benachteiligten Gemeinschaften leben.
Und was passiert eigentlich, wenn wir Stress haben?
Der Körper reagiert auf Stress mit einer genetischen Reaktion, der so genannten "conserved transcriptional response to adversity", kurz CTRA. Wenn wir uns bedroht fühlen, werden Gene aktiviert, die Entzündungen verursachen, und die Expression von antiviralen und Antikörpergenen wird reduziert. Das ist so ähnlich wie der Kampf-oder-Flucht-Reflex: Der Körper konzentriert alle Ressourcen auf das Überleben.
Entzündungen sind eigentlich gut, weil sie bei Verletzungen und Infektionen helfen. Aber bei emotionalem, sozialem oder finanziellem Stress sind sie nicht hilfreich, sondern verschlimmern das Problem noch.
Und es gibt ja viele Stressoren, die nicht lebensbedrohlich sind, aber trotzdem den Stresssystem aktivieren. Zum Beispiel das Ende einer Beziehung. In den meisten Fällen ist die CTRA eine unangemessene Reaktion, die das Risiko für Krebs, Diabetes, Herzerkrankungen und psychische Probleme erhöht. Studien haben zum Beispiel gezeigt, dass einsame Menschen mehr Entzündungen und weniger effektive Immunreaktionen haben.
Wie können wir unsere CTRA in Zeiten von Stress besser regulieren? Studien haben gezeigt, dass Aufblühen ein wichtiger Faktor ist.
Aber nicht das "Sich-gut-fühlen" oder "Glücklichsein" ist entscheidend, sondern das "Gut-funktionieren". Es geht um das Gefühl, ein Leben zu führen, das Sinn und Bedeutung hat. Und wenn Menschen mit einem hohen Maß an psychischem Wohlbefinden stark gestresst sind, werden ihre Entzündungsgene nicht so stark hochgefahren und ihre antiviralen Gene nicht so stark heruntergefahren wie bei Menschen mit einem niedrigen Maß an psychischem Wohlbefinden.
Menschen, die ein hohes Maß an psychischem Wohlbefinden haben, haben eine viel gesündere Reaktion, wenn sie Stress erleben. Wenn man die meisten Teile seiner Persönlichkeit mag, warme und vertrauensvolle Beziehungen hat, herausgefordert wird, sich weiterzuentwickeln, wenn das Leben einen Sinn hat und man zuversichtlich ist, seine Ideen und Meinungen zu äußern, dann hat man ein höheres Maß an psychischem Wohlbefinden. Psychisches Wohlbefinden ist also eine Art Medizin, ne?