Chapter Content
Also, pass auf, ähm, zweites Kapitel, ja? "Der Außenseiter: Daniel Kahneman".
Also, der Kahneman, der hatte irgendwie so 'ne skeptische Ader, ne? Bei vielen Sachen. Aber am krassesten war wohl, dass er anscheinend seine eigene Erinnerung nicht so ganz getraut hat. Stell dir vor, der hat 'n ganzes Semester Vorlesungen gehalten, komplett ohne Skript, ja? Die Studenten dachten wohl, der hätte das komplette Lehrbuch im Kopf, und er hat auch von denen erwartet, dass die das genauso machen. Aber wenn's dann um seine eigenen Lebenserfahrungen ging, dann meinte er, seine Erinnerung wäre unzuverlässig und man sollte dem Ganzen eh nicht so trauen.
Dieses Misstrauen, das war wohl so 'ne Art Lebensmotto für ihn. Ein ehemaliger Student von ihm meinte mal, seine größte Eigenschaft wäre diese Skepsis, ne? Und dass ihm das total geholfen hat, weil es ihn immer weiter vorangetrieben hat. Vielleicht war's aber auch einfach nur 'ne Art Schutzmechanismus, um nicht aufzufallen, irgendwie so unter dem Radar zu bleiben. Auf jeden Fall hat er sich immer so 'n bisschen distanziert von allem und jedem.
Klar, er hat vielleicht an seiner Erinnerung gezweifelt, aber irgendwelche Erinnerungen muss er ja gehabt haben, ne? Zum Beispiel, er hat sich dran erinnert, dass er irgendwann Ende '41 oder Anfang '42, also ungefähr ein Jahr nach der Besetzung von Paris, nach der Ausgangssperre erwischt wurde. Damals mussten Juden ja so'n gelben Stern tragen, ne? Und dieser Stern, der war ihm total peinlich. Damit ihn die anderen Kinder nicht damit sehen, ist er jeden Morgen 'ne halbe Stunde früher zur Schule gegangen. Und auf dem Heimweg hat er seine Jacke auf links gedreht.
Und dann war da diese eine Situation, als er mal spät nach Hause kam und ihm ein deutscher Soldat entgegenkam. In so 'ner schwarzen Uniform, diese SS-Leute, die galten ja als besonders furchteinflößend. Er hat dann in seiner Autobiografie, die er für den Nobelpreis geschrieben hat, erzählt, dass er schneller gelaufen ist, und dann hat der Soldat ihn angeguckt, ihm gewunken und ihn einfach umarmt, hochgehoben. Er hatte total Angst, dass der den Stern sieht, aber der Soldat hat nur freundlich mit ihm auf Deutsch geredet, ihm dann 'n Foto von seinem Sohn gezeigt und ihm sogar noch Geld gegeben. Auf dem Heimweg war er dann wohl total überzeugt davon, dass seine Mutter Recht hatte: Menschen sind viel komplexer und interessanter, als man denkt.
Dann war da noch die Erinnerung an November '41, als sein Vater bei so 'ner Razzia verhaftet wurde. Tausende Juden wurden damals in Lager deportiert. Er hatte wohl 'ne komplizierte Beziehung zu seiner Mutter, aber seinen Vater hat er geliebt. "Mein Vater war wie 'n Leuchtfeuer", hat er mal gesagt. Sein Vater kam dann in so 'n Übergangslager in Drancy, außerhalb von Paris. Da wurden über 7000 Juden in so 'ner Wohnsiedlung zusammengepfercht, die eigentlich nur für 700 Leute gedacht war. Er erinnerte sich, wie er mit seiner Mutter das Lager besucht hat. So 'n orangefarbenes Gebäude, wo man die Leute sehen konnte, aber nicht richtig erkennen. Und man hat Frauen und Kinder schreien hören. Der Wärter meinte dann wohl: "Hier gibt's nicht viel, die kriegen nur Schalen und Gemüsereste." Drancy war für die meisten Juden nur 'ne Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtungslager, ne? Kinder wurden von ihren Müttern getrennt und dann nach Auschwitz deportiert.
Zum Glück hatte sein Vater Glück, weil irgendein Eugène Schueller, der Gründer von L'Oréal, sich für ihn eingesetzt hat. Sein Vater war nämlich Chemiker bei L'Oréal. Nach dem Krieg kam dann raus, dass Schueller wohl auch mit den Nazis zusammengearbeitet hat, aber warum auch immer, er hat seinen Top-Ingenieur damals rausgehauen. Er hat den Deutschen wohl erzählt, dass sein Vater total wichtig für den Krieg wäre und deswegen durfte er zurück nach Paris. Er hat sich genau daran erinnert, wie sein Vater zurückkam. Sie haben extra noch was eingekauft und dann hat sein Vater ihnen die Tür aufgemacht. Er hatte seinen besten Anzug an, war aber total abgemagert, wog nur noch 45 Kilo. Er hatte noch nichts gegessen, wollte auf sie warten. Das hat sich ihm wohl total eingebrannt.
Als Schueller ihnen dann nicht mehr helfen konnte, sind sie geflohen. '42 war die Grenze dicht und es gab keinen sicheren Weg mehr. Also sind er, seine Schwester und seine Eltern Richtung Süden geflohen, wo das Vichy-Regime noch an der Macht war. Es war wohl 'ne total gefährliche Reise, voller brenzliger Situationen. Er erinnerte sich an ein Versteck in 'ner Scheune. Und an falsche Papiere, die sein Vater irgendwie in Paris besorgt hatte, wo aber der Nachname falsch geschrieben war. Sie mussten ihn "Onkel" nennen, damit es nicht auffällt. Und er musste für seine Mutter übersetzen, weil sie Jiddisch gesprochen hat und ihr Französisch 'n jiddischen Akzent hatte. Sie hat wohl ständig geredet und ihrem Mann die Schuld an allem gegeben, weil er ja im Ersten Weltkrieg schon falsch gelegen hätte und dachte, die Deutschen würden Paris nicht angreifen. Sie war da wohl pessimistischer. Er meinte, er wäre seiner Mutter ähnlicher gewesen als seinem Vater. Er hatte wohl 'ne komplizierte Beziehung zu sich selbst.
Irgendwann im Winter '42 sind sie dann in so 'nem Küstenort namens Juan-les-Pins gelandet. Da hatten sie dann dank Schueller 'n Haus und 'n Labor für seinen Vater. Um nicht aufzufallen, haben seine Eltern ihn zur Schule geschickt, aber ihm gesagt, er soll nicht so viel reden und nicht so schlau sein. Sie hatten Angst, dass seine jüdische Identität auffliegt. Er erinnert sich daran, dass er damals total ernst und streberhaft war. Er hatte kaum 'ne Verbindung zu seinem Körper, war total ungeschickt und wurde von den anderen Kindern "wandelnde Leiche" genannt. Sein Sportlehrer wollte ihm mal 'ne Auszeichnung verweigern, weil es ja auch Grenzen geben muss. Trotzdem hatte er wohl 'n scharfen Verstand und 'n starkes Herz. Er wollte immer intelligent sein, nur 'n Kopf, ohne Körper. Und dann hatte er das Bild von sich als 'n Hase, der von Jägern gejagt wird und ums Überleben kämpft.
Am 10. November '42 haben die Deutschen dann Südfrankreich besetzt. Die Soldaten in ihren schwarzen Uniformen haben Männer aus Bussen gezerrt, ihre Hosen runtergezogen und geguckt, ob sie beschnitten sind. Alle, die sie erwischt haben, sind gestorben. Sein Vater war eigentlich Atheist, hatte aber in seiner Jugend die jüdische Tradition verlassen und war nach Paris gegangen. Er selbst wollte den Glauben aber noch nicht aufgeben. Er sagte: "Ich hab mit meinen Eltern in 'nem Moskitonetz geschlafen, die im großen Bett, ich im kleinen. Ich hab zu Gott gebetet: Ich weiß, du bist beschäftigt, ich weiß, es ist 'ne schwere Zeit. Ich will nicht viel, nur lass mich noch einen Tag leben."
Also sind sie wieder geflohen. Diesmal an der Côte d'Azur entlang nach Cagnes-sur-Mer, zu irgendeinem ehemaligen französischen Offizier. Dort musste er monatelang im Haus bleiben und Bücher lesen. Er hat "Reise um die Erde in 80 Tagen" immer und immer wieder gelesen und war total begeistert von England. Und er hat die ganzen Bücher über die Schlacht von Verdun gelesen, die der Offizier hatte, und wurde zum Experten dafür. Sein Vater hat noch in dem Labor am Meer gearbeitet und kam jedes Wochenende mit dem Bus zu ihnen. Freitags saßen er und seine Mutter dann im Garten und haben gewartet, während sie seine gestopften Socken angeguckt hat. "Wir haben oben am Berg gewohnt und konnten die Bushaltestelle sehen. Wir wussten nie, ob er heil ankommt. Seitdem hasse ich das Warten."
Die Deutschen haben mit Hilfe des Vichy-Regimes und Kopfgeldjägern immer mehr Juden verhaftet. Sein Vater hatte Diabetes, aber der Weg zum Arzt war zu gefährlich. Also sind sie wieder geflohen. Erst in so 'n Hotel, dann in 'nen Hühnerstall hinter 'ner Dorfkneipe in der Nähe von Limoges. Da waren keine deutschen Soldaten, sondern nur französische Milizen, die mit den Deutschen zusammengearbeitet haben. Er wusste nicht, wie sein Vater das organisiert hat, aber er vermutet, dass es wieder mit dem Chef von L'Oréal zu tun hatte, weil sie immer noch Essenspakete bekommen haben. Sie haben den Raum mit 'ner Decke geteilt, damit seine Schwester Privatsphäre hatte. Aber so 'n Hühnerstall ist halt nicht zum Wohnen gedacht. Im Winter war's total kalt, die Tür ist zugefroren. Seine Schwester hat sich mal am Ofen verbrannt, weil sie sich wärmen wollte.
Seine Mutter und seine Schwester sind jeden Sonntag in die Kirche gegangen, um christlich zu wirken. Er, mit 10 Jahren, ist wieder zur Schule gegangen, weil das sinnvoller war als der Hühnerstall. Die Schule war noch schlechter als die in Juan-les-Pins, und die Lehrer waren zwar nett, aber nicht besonders intelligent. Er erinnert sich nur an 'ne Lektion über die Entstehung des Lebens. Er fand das so absurd, dass er dachte, der Lehrer muss sich irren. "Ich hab gesagt: 'Das kann nicht sein!' Meine Mutter meinte dann, dass es schon so ist." Er konnte das aber trotzdem nicht glauben. Bis er eines Nachts neben seiner Mutter geschlafen hat und aufgestanden ist, um aufs Klo zu gehen. Dabei ist er über sie drüber geklettert. Sie ist dann aufgewacht und hat sich erschrocken. "Da hab ich gedacht: 'Okay, es stimmt wohl doch!'"
Schon als Kind hat er versucht, die Leute zu verstehen, warum sie so denken und handeln. Er hatte zwar nicht so viel direkten Kontakt zu anderen Menschen, weil er ja nicht auffallen durfte, aber er hat trotzdem viel beobachtet. Er war sich sicher, dass die Lehrer und der Kneipenwirt wussten, dass sie Juden sind. Warum sonst sollte so 'n schlauer Junge in so 'ne blöde Dorfschule gehen? Und warum sollte so 'ne feine Familie in 'nem Hühnerstall wohnen? Aber sie haben nichts gesagt. Sein Lehrer hat ihm gute Noten gegeben und ihn zum Essen eingeladen. Die Kneipenwirtin wollte ihn manchmal für kleine Botengänge bezahlen (obwohl er das Geld ja gar nicht ausgeben konnte) und wollte seine Mutter sogar überzeugen, mit ihr 'n Bordell aufzumachen. Aber die meisten Leute haben es wohl nicht gemerkt. Er erinnert sich besonders an so 'nen jungen französischen Nazi, der Milizionär war und sich in seine Schwester verliebt hat. Sie war 19 und sah aus wie 'n Filmstar. Nach dem Krieg hat der Nazi dann erfahren, dass er sich in 'ne Jüdin verliebt hatte, was seine Schwester natürlich total gefreut hat.
Am 27. April '44 – das Datum hat er sich gemerkt – ist sein Vater mit ihm spazieren gegangen. Sein Vater hatte dunkle Flecken im Gesicht und sah mit 49 Jahren viel älter aus. "Er hat mir gesagt, dass ich jetzt Verantwortung übernehmen muss", erinnerte er sich. "Er hat gesagt, ich soll mich wie der Mann im Haus verhalten. Er hat mir gezeigt, wie ich meiner Mutter helfen kann. Er meinte, ich wäre der vernünftigere von uns. Ich hab ihm mein Gedichtbuch geschenkt. In der Nacht ist er dann gestorben." Er erinnert sich nur daran, dass seine Mutter ihn zu den Andrieus gebracht hat. Im Dorf war noch 'n anderer Jude versteckt, der hat dann geholfen, seinen Vater wegzubringen, bevor er nach Hause kam. Seine Mutter hat ihn jüdisch beerdigt, aber er durfte nicht dabei sein, weil es zu gefährlich war. "Ich war wütend über seinen Tod", sagte er. "Er war nie krank, aber er war auch nie wirklich gesund."
Sechs Wochen später sind die Alliierten in der Normandie gelandet. Er hat keine Soldaten gesehen, keine amerikanischen Panzer, die Bonbons an die Kinder verteilt haben. Eines Morgens ist er aufgewacht und hat die Freude in der Luft gespürt. Die französischen Milizionäre wurden abgeführt, manche erschossen, manche eingesperrt. Die Frauen, die mit den Deutschen geschlafen hatten, wurden kahl geschoren und durch die Straßen getrieben. Im Dezember waren die Deutschen dann aus Frankreich vertrieben und er und seine Mutter konnten zurück nach Paris, in ihre alte Wohnung. Er hatte so 'n Notizbuch, "Logbuch meiner Gedanken" genannt. In Paris hat er dann in den Schulbüchern seiner Schwester 'n Aufsatz von Pascal gelesen, der ihn total begeistert hat. Die Deutschen haben damals noch mal versucht, Frankreich zurückzuerobern, und er und seine Mutter hatten total Angst, dass sie es schaffen. In dieser Zeit hat er dann so 'n kleinen Aufsatz geschrieben, warum die Menschheit Religion braucht. Er hat Pascal zitiert: "Der Glaube an Gott reinigt unser Herz" und gemeint, das wäre total richtig. Er meinte dann, dass Religion und der Körper beides künstliche Konstrukte sind, die uns dasselbe Gefühl geben. Gott war für ihn ab dem Zeitpunkt nicht mehr jemand, zu dem man beten konnte. Er hat sich später an diese Jugendsünde erinnert, so mit Stolz, aber auch mit Scham. Er fand, dass sein altertümlicher Schreibstil "total nah an meinen Gefühlen war. Ich wusste, dass ich als Jude mit meinem nutzlosen Kopf und Körper niemals dazugehören würde."
In Paris, in ihrer alten Wohnung, haben er und seine Mutter nur zwei kaputte grüne Sessel gefunden. Aber sie sind trotzdem geblieben. Zum ersten Mal seit fünf Jahren konnte er wieder offen Jude sein und zur Schule gehen. Dort hat er dann zwei große, gut aussehende russische Adelsjungen kennengelernt, mit denen er sich angefreundet hat. Für ihn war das 'ne total schöne und unvergessliche Erinnerung, weil er so lange einsam war. Um sich daran zu erinnern, hat er versucht, diese russischen Brüder zu finden. Einer war Architekt geworden, der andere Arzt. Sie haben ihm geschrieben, dass sie sich an ihn erinnern, und ihm 'n Foto von allen zusammen geschickt. Aber er konnte sich auf dem Foto nicht finden. Sie müssen ihn wohl verwechselt haben. Diese einsame Freundschaft war wohl nur in seiner Fantasie existent.
1946 hat seine Familie Europa verlassen, weil sie sich da nicht wohlgefühlt haben. Die Familie seines Vaters war in Litauen geblieben und zusammen mit 6000 anderen Juden im Holocaust gestorben. Nur sein Onkel, der Lehrer war, hatte überlebt, weil er gerade unterwegs war, als die Deutschen kamen. Er lebte, genau wie die Familie seiner Mutter, in Palästina. Also sind sie dahin gezogen. Ihre Ankunft war wohl 'ne große Sache, es gab sogar 'n Film davon (der aber verloren gegangen ist). Aber er hat sich nur daran erinnert, wie sein Onkel ihm 'n Glas heiße Milch gegeben hat. "Ich kann mich noch an die Farbe erinnern, total weiß", sagte er. "Das war die erste Milch seit fünf Jahren." Er und seine Mutter und Schwester sind dann zu seinem Großvater nach Palästina gezogen. Ein Jahr später, mit 13 Jahren, hat er dann mit Gott abgeschlossen. "Ich weiß noch genau, wo ich war, mitten in Jerusalem. Ich hab mir gedacht, ich kann mir ja vorstellen, dass es 'n Gott gibt, aber der weiß ja nicht, ob ich masturbiere. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es keinen Gott gibt. Meine religiöse Karriere war damit beendet."
Wenn man ihn nach seiner Kindheit gefragt hat, dann waren das so die Sachen, an die er sich erinnert hat oder erinnern wollte. Ab sieben Jahren wurde ihm gesagt, er soll niemandem trauen, und das hat er auch gemacht. Er hat überlebt, weil er sich von anderen abgeschottet hat und niemandem seine wahre Identität gezeigt hat. Er sollte später einer der größten Psychologen der Welt werden, einer, der die menschliche Fehlbarkeit untersucht. Und er hat herausgefunden, welche Rolle die Erinnerung bei Entscheidungen spielt. Zum Beispiel, wie die Erinnerung der französischen Armee an die Taktiken der Deutschen im Ersten Weltkrieg dazu geführt hat, dass sie die Taktiken im Zweiten Weltkrieg falsch eingeschätzt haben. Oder wie die Erinnerung eines SS-Mannes an 'n kleinen Jungen in Deutschland ihn daran gehindert hat, zu erkennen, dass der Junge, den er in Paris umarmt hat, Jude war.
Er selbst konnte aber in seinen eigenen Erinnerungen nicht so viele Zusammenhänge finden. Er meinte, dass seine Vergangenheit kaum Einfluss auf seine Weltanschauung hatte. Oder auf das, wie er von anderen wahrgenommen wurde. Wenn man ihn immer wieder gefragt hat, hat er gesagt: "Die Leute denken immer, dass die Kindheit so wichtig ist, aber ich bin mir da nicht so sicher." Er hat selbst seinen engsten Freunden nichts vom Holocaust erzählt. Erst als er den Nobelpreis bekommen hat und die Journalisten ihn ausgequetscht haben, hat er seine ganze Geschichte erzählt. Seine Freunde haben das dann alles aus der Zeitung erfahren.
Als er mit seiner Mutter nach Jerusalem zurückgekommen ist, gab es schon wieder Krieg. 1947 haben die Briten das Palästina-Problem an die Vereinten Nationen übergeben. Die haben dann am 29. November beschlossen, Palästina in zwei Staaten aufzuteilen. Der jüdische Staat war ungefähr so groß wie Connecticut, der arabische Staat etwas kleiner. Jerusalem und die heiligen Stätten wurden keiner Seite zugeschlagen. Die Einwohner von Jerusalem sollten "Bürger" von Jerusalem sein, manche arabischer, manche jüdischer Herkunft. Aber beide Seiten haben sich weiterhin bekriegt. Seine Wohnung lag in der Nähe der Grenze und eine Kugel ist sogar in sein Schlafzimmer geflogen. Sein Pfadfinderleiter wurde getötet.
Trotzdem hatte er nicht das Gefühl, dass es gefährlich war. "Das war anders als früher, du hast gekämpft und das hat sich besser angefühlt. Ich hasste es, als Jude in Europa zu leben, ich hasste es, mich wie 'n gejagtes Tier zu fühlen, ich wollte kein Hase sein." Eines Nachts im Januar '48 war er total aufgeregt, weil er zum ersten Mal jüdische Soldaten gesehen hat. 38 junge Kämpfer haben sich im Keller seines Hauses versammelt. Arabische Soldaten hatten jüdische Siedlungen im Süden des Landes belagert und die 38 Soldaten sollten die Siedlungen befreien. Drei Soldaten sind aber wieder zurückgekommen, weil sich einer den Fuß verstaucht hatte und die anderen beiden ihn zurückgebracht haben. Also waren es nur noch 35, die "Gruppe der 35". Sie wollten eigentlich im Schutz der Nacht reisen, sind aber erst am nächsten Morgen angekommen. Unterwegs haben sie 'n arabischen Hirten getroffen und ihn laufen lassen – zumindest hat er das so in Erinnerung. Der Hirte hat dann die arabischen Soldaten informiert, die die "Gruppe der 35" überfallen, getötet und verstümmelt haben. Er konnte nicht verstehen, warum sie diese Entscheidung getroffen haben. "Weißt du, warum sie getötet wurden?", sagte er. "Weil sie es nicht übers Herz gebracht haben, auf 'n Hirten zu schießen."
Ein paar Monate später ist 'n Konvoi mit medizinischem Personal, der Rotes-Kreuz-Flaggen hatte, von Jerusalem zum Skopusberg gefahren, wo sich die Hebräische Universität und das dazugehörige Krankenhaus befanden. Der Skopusberg lag direkt an der arabischen Grenze und war wie 'ne jüdische Insel im arabischen Meer. Die einzige Zufahrt war 'n 2,4 Kilometer langer Weg, der von den Briten bewacht wurde. Normalerweise war der Weg sicher, aber an diesem Tag ist erst 'ne Bombe hochgegangen, die den vordersten Ford-LKW gestoppt hat. Danach haben die Araber mit Maschinengewehren auf den Bus und den Krankenwagen geschossen. Ein paar Autos konnten noch wenden und wegfahren, aber der vollbesetzte Bus war gefangen. Als die Schießerei vorbei war, waren alle 78 Insassen tot. Ihre Körper waren von Kugeln durchsiebt und sie wurden in 'nem Massengrab beerdigt. Unter ihnen war auch 'n Gelehrter namens Enzo Bonaventura, der neun Jahre zuvor aus Italien gekommen war, um 'ne psychologische Fakultät an der Hebräischen Universität aufzubauen. Jetzt war sein Traum zusammen mit ihm begraben.
Er hat immer geleugnet, dass er Angst um sein Leben hatte. "Wir haben fünf arabische Staaten besiegt – heute kaum vorstellbar, aber wir hatten keine Angst. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich das Gefühl hatte, das Ende ist nah. Leute wurden getötet, mehr nicht. Aber das Ende des Zweiten Weltkriegs war 'ne riesige Erleichterung." Seine Mutter war da wohl nicht so optimistisch. Sie ist mit ihrem 14-jährigen Sohn aus Jerusalem geflohen, nach Tel Aviv.
Am 14. Mai '48 hat Israel seine Unabhängigkeit erklärt und die britischen Truppen haben sich zurückgezogen. Danach haben Truppen aus Jordanien, Syrien, Ägypten und dem Irak Israel angegriffen. Jerusalem war monatelang belagert und auch das Leben in Tel Aviv war nicht normal. Am Strand, wo heute das InterContinental Hotel steht, gab es 'n Minarett, das von den Arabern als Scharfschützenstand genutzt wurde. Sie haben auf jüdische Kinder geschossen, die zur Schule gegangen sind. Und sie haben getroffen. "Die Kugeln sind geflogen", erinnert sich Simon Schama. Er war damals 14 und lebte in Tel Aviv. Später wurde er Diplomat und war der einzige israelische Botschafter, der in Ägypten und Jordanien gearbeitet hat.
Schama war Kahnemans erster richtiger Freund. "Die anderen Kinder hatten Schwierigkeiten, mit ihm in Kontakt zu treten", sagte Schama. "Er mochte keine Gruppen, er war wählerisch. Es war ihm egal, ob er nur 'n Freund hatte." Als er in Tel Aviv zur Schule ging, sprach er schon fließend Hebräisch, obwohl er erst 'n Jahr zuvor nach Israel gekommen war. Und sein Englisch war besser als das der anderen Kinder. "Alle dachten, er wäre total schlau", sagte Schama. "Ich hab mal zu ihm gesagt: 'Du wirst mal berühmt werden', aber das war ihm immer unangenehm. Ich bin kein Wahrsager, aber ich hatte das Gefühl, dass er 'ne große Zukunft hat."
Er war anders, das hat jeder gesehen. Nicht, weil er das wollte, sondern weil er so war. "Er war der Einzige, der Wert auf die richtige Aussprache im Englischen gelegt hat", sagte Schama. "Wir anderen fanden das lächerlich. Er war in vielerlei Hinsicht anders als wir. Er war irgendwie 'n Außenseiter, das hatte aber nichts mit seiner Flüchtlingsexistenz zu tun, sondern mit seinem Charakter." Er war nicht wie 'n 14-jähriger Junge, sondern eher wie 'n alter Gelehrter im Körper eines Kindes. "Er hat immer über irgendwelche Fragen nachgedacht", sagte Schama. "Ich erinnere mich, dass er mir mal 'n Aufsatz gezeigt hat, den er geschrieben hat, was mich total überrascht hat, weil Aufsätze ja eigentlich 'ne Belastung sind, die man nur schreibt, wenn man muss. Er hat sich über irgendwas ausgelassen, das nichts mit dem Unterricht zu tun hatte, nur weil es ihn interessiert hat. Er hat darin den Charakter eines englischen Gentlemen mit dem eines griechischen Aristokraten aus der Zeit des Herakles verglichen." Schama hat gemerkt, dass er sich nicht mehr von Erwachsenen Wissen angeeignet hat, sondern aus Büchern und seinen eigenen Gedanken. "Ich glaube, er hat nach 'nem Ideal gesucht, nach 'nem Vorbild", sagte Schama.
Der israelische Unabhängigkeitskrieg hat zehn Monate gedauert. Vor dem Krieg war das jüdische Land so groß wie Connecticut, am Ende war es größer als New Jersey. Ein Prozent der israelischen Bevölkerung ist im Krieg gestorben (was in New Jersey 90.000 Menschen wären), auf arabischer Seite gab es über 10.000 Tote und 750.000 Palästinenser wurden vertrieben. Seine Mutter ist nach dem Krieg mit ihm zurück nach Jerusalem gezogen. Dort hat er seinen zweiten engen Freund kennengelernt, Eric Ginzberg, 'n englischer Junge.
Tel Aviv war schon schlimm, aber Jerusalem war noch schlimmer. Kaum jemand hatte 'ne Kamera, 'n Telefon oder 'ne Türklingel. Wenn man seinen Freund treffen wollte, musste man zu ihm laufen, an die Tür klopfen oder pfeifen. Er ist dann immer zu Eric gelaufen, hat gepfiffen und dann sind sie zusammen ins YMCA gegangen, entweder schwimmen oder Tischtennis spielen. Oft haben sie gar nicht geredet. Er hat das genossen, Eric hat ihn wohl an Phileas Fogg erinnert. "Er war besonders", sagte Eric. "Er hat 'ne Distanz zu anderen gespürt, aber er hat sie auch aufgebaut, auf 'ne bestimmte Art. Ich war sein einziger Freund."
In den Jahren nach dem Unabhängigkeitskrieg hat sich die jüdische Bevölkerung Israels verdoppelt, von 600.000 auf 1,2 Millionen. Kein Land hat so viel dafür getan, dass sich neue Juden in die Gesellschaft integrieren. Aber er hat sich nie wirklich dazugehörig gefühlt. Er mochte die einheimischen Israelis, aber er war selbst kein Israeli. Er ist zwar, wie die meisten israelischen Kinder, in die Pfadfinder gegangen, aber er ist wieder ausgetreten, weil er und Eric sich da nicht wohlgefühlt haben. Er hat zwar schnell Hebräisch gelernt, aber zu Hause hat er mit seiner Mutter nur Französisch gesprochen, und zwar oft wütend. "Es war keine glückliche Familie", sagte Eric. "Seine Mutter war sehr verbittert. Und seine Schwester hat das Haus so schnell wie möglich verlassen." Er hat die israelische Staatsbürgerschaft nicht wirklich angenommen, sondern nur als Ort, an dem er leben konnte.
Es ist schwer zu sagen, was ihm die israelische Staatsbürgerschaft bedeutet hat, weil er sowieso 'n schwer fassbarer Mensch war, der sich nirgends wirklich zu Hause gefühlt hat. Er hat sich selten an etwas gebunden, wenn, dann nur kurz und distanziert. Ruth Ginzberg, die damals Erics Freundin war, sagte: "Er hat sich schon früh entschieden, keine Verantwortung zu übernehmen. Ich hatte das Gefühl, dass er immer 'ne Entschuldigung für seine Wurzellosigkeit gesucht hat. Er war jemand, der keine Wurzeln brauchte und meinte, das Leben besteht aus 'ner Reihe von Zufällen, die so oder so passieren. Man kann nur versuchen, das Beste aus den Zufällen zu machen."
In 'nem Land, das so sehr nach Land und Menschen gesehnt hat, war er mit seiner Distanziertheit 'ne Ausnahme. "Ich bin '48 nach Israel gekommen und wollte dazugehören", erinnerte sich Jeshajahu Kroll. Er ist heute Geologieprofessor an der Hebräischen Universität, ist im selben Alter wie Kahneman und hat auch seine Familie im Holocaust verloren. "Ich wollte Sandalen tragen, die Hosenbeine hochkrempeln und jede gottverdammte Schlucht und jeden Berg kennen. Am liebsten hätte ich meinen russischen Akzent abgelegt. Ich hab mich für meine Vergangenheit geschämt. Ich hab die Helden meiner Generation bewundert. Er nicht, er hat auf das Land herabgesehen."
Er war 'n bisschen wie Vladimir Nabokov, der Autor von "Lolita", beide waren Flüchtlinge, haben sich von der Welt distanziert und waren 'n bisschen arrogant. Als er 15 war, hat er 'n Berufseignungstest gemacht, der ergeben hat, dass er Psychologe werden soll. Das hat ihn nicht überrascht.
Er hat sich immer vorgestellt, dass er Professor wird, und er hat sich für Menschen interessiert. "Ich hab mich für Psychologie interessiert, um in die Philosophie einzusteigen, um die Welt zu verstehen. Ich hab versucht zu verstehen, warum Menschen, besonders ich selbst, die Welt so sehen, wie sie sie sehen. Ich hab mich nicht mehr dafür interessiert, ob es Gott gibt, sondern warum die Leute an ihn glauben. Ich hab mich nicht mehr dafür interessiert, wer im Konflikt Recht hat, sondern wie Wut entsteht. Das sind die Fragen, die Psychologen beantworten!"
Die meisten Israelis mussten nach dem Abitur zum Militär. Er war aber so gut in der Schule, dass er direkt studieren durfte, Psychologie. Wie er das anstellen sollte, wusste er nicht, weil die einzige Uni im Land in der Nähe der arabischen Grenze lag und die Pläne, da 'ne psychologische Fakultät aufzubauen, schon bei 'nem arabischen Überfall gescheitert waren. Also ist er im Herbst '51, mit 17 Jahren, in 'ne Mathestunde in 'nem Kloster in Jerusalem gegangen. Das war einer der provisorischen Standorte der Hebräischen Universität. Auch da war er 'n Außenseiter. Die meisten Studenten waren schon beim Militär gewesen und hatten Kriegserfahrungen. Er war jung, hat immer 'ne Jacke und 'ne Krawatte getragen.
In den nächsten drei Jahren hat er sich das meiste Wissen selbst angeeignet, weil die Lehrer nicht so gut waren. "Ich mochte meine Statistiklehrerin", erinnerte er sich. "Aber sie hatte keine Ahnung von Statistik, also hab ich mir das selbst beigebracht." Er hat da weniger Experten getroffen, sondern eher schillernde Charaktere, meist europäische Flüchtlinge, die in Israel gelandet sind. "Die Lehrer hatten Charisma, sie haben nicht nur Lehrpläne geschrieben, sondern auch Biografien, sie hatten ungewöhnliche Erfahrungen gemacht", erinnerte sich Haviva Bar-Hillel, die später Philosophieprofessorin an der Hebräischen Universität und anderswo wurde.
Der schillerndste war Jesaja Leibowitz, sein Idol. Leibowitz war in den 30er Jahren aus Deutschland über die Schweiz nach Palästina gekommen, mit Abschlüssen in Medizin, Chemie, Wissenschaftsphilosophie und angeblich noch in anderen Fächern. Seinen Führerschein hat er aber erst im siebten Anlauf bekommen. Maya Bar-Hillel, eine ehemalige Studentin von Leibowitz, erinnerte sich: "Er ist mit hochgezogenen Hosen, krummem Rücken und 'nem Jay Leno-Kinn rumgelaufen. Er hat immer mit sich selbst geredet und wild gestikuliert. Trotzdem hat er alle jungen Leute mit seinen Gedanken fasziniert." Egal, was er unterrichtet hat, er hat daraus 'ne Show gemacht. "Ich hab Biochemie bei ihm belegt, aber er hat eigentlich das Leben kommentiert", erinnerte sich 'n anderer Student. "Er hat viel Zeit damit verbracht, zu erklären, warum Ben Gurion 'n Idiot ist." Leibowitz' Lieblingsbeispiel war 'n Esel, der vor zwei gleich großen Heuhaufen steht und verhungert, weil er sich nicht entscheiden kann. "Leibowitz meinte dann, dass 'n Esel das nicht machen würde, er würde einfach zu irgendeinem Haufen gehen und fressen. Nur Menschen würden so 'n einfaches Problem komplizieren. Und wenn 'n Land Entscheidungen, die von Menschen getroffen werden sollten, an 'nen Esel delegiert, dann passieren komische Sachen. Das kann man jeden Tag in den Nachrichten sehen. Seine Kurse waren immer überfüllt."
Er selbst hat sich nur an komische Sachen von Leibowitz erinnert: nicht an die Sachen, die er gesagt hat, sondern an das Geräusch, wenn er mit Kreide auf die Tafel gehauen hat, um was zu verdeutlichen. Das klang wie 'n Schuss.
Obwohl er noch jung war und in so 'ner besonderen Situation, kann man trotzdem erkennen, was er abgelehnt hat. Damals war die Psychoanalyse von Freud total angesagt, aber er wollte weder andere analysieren noch sich selbst analysieren lassen. Er hat beschlossen, sich nicht mit seiner Kindheit zu beschäftigen, und auch nicht mit seiner Erinnerung daran, was geht's andere an? In den frühen 50er Jahren haben viele Psychologen, die eigentlich die Psychologie zu 'ner Wissenschaft machen wollten, diesen Anspruch aufgegeben. Wie soll man das Innere des menschlichen Denkens erforschen, wenn man es nicht beobachten kann? Wissenschaftlich relevant und erforschbar sollte nur das Verhalten sein.
Das war die vorherrschende Schule des Behaviorismus, die von Skinner angeführt wurde. Der hat schon im Zweiten Weltkrieg damit angefangen, Tauben darauf zu trainieren, Bombenabwurfziele zu finden. Skinner hat seinen Tauben beigebracht, Ziele auf Luftbildkarten zu finden, und hat sie für jede richtige Antwort mit Futter belohnt (die Tauben haben dann aber weniger begeistert gepickt, wenn um sie herum die Flak gefeuert hat, deswegen wurden sie nicht eingesetzt). Skinners Experiment mit den Tauben war erfolgreich und hat 'ne einflussreiche Bewegung ausgelöst. Die Grundidee war: Das Verhalten jedes Tieres wird von Belohnungen oder Bestrafungen gesteuert, nicht von Gedanken oder Gefühlen. Er hat Ratten in 'ne Kiste gesperrt, die er "operante Konditionierungskammer" genannt hat (später wurde sie "Skinner-Box" genannt), und hat sie trainiert, Hebel zu ziehen und Knöpfe zu drücken. Er hat auch Tauben trainiert, zu tanzen, Tischtennis zu spielen und auf 'ner Klaviatur "Take Me Out to the Ball Game" zu spielen.
Die Behavioristen waren der Meinung, dass das, was sie an Ratten oder Tauben gelernt haben, auch für Menschen gilt. Nur, dass man an Menschen aus verschiedenen Gründen keine Experimente machen kann. Skinner hat in 'nem Artikel mit dem Titel "Wie man ein Tier formt" geschrieben: "Wir müssen die Leser, die es eilig haben, menschliche Subjekte zu verwenden, daran erinnern, dass wir ein neues Projekt starten müssen, bei dem wir das Verhalten sowohl verstärken als auch unterdrücken. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir auf diese Weise bei menschlichen Probanden 'ne emotionale Reaktion auslösen. Leider ist die Verhaltenswissenschaft noch nicht so weit, Emotionen so erfolgreich zu kontrollieren wie Verhalten." Die Schönheit des Behaviorismus war, dass Wissenschaft plötzlich ganz einfach war: Wir können Reize beobachten und Reaktionen aufzeichnen. Das Ganze sah total "objektiv" aus, es hing nicht mehr von subjektiven Gefühlen ab. Alles Wichtige war beobachtbar und messbar. Es gab 'n Witz, den Skinner selbst gern erzählt hat, der den Behaviorismus gut zusammenfasst: Nach dem Sex fragt einer den anderen: "Ich war gut, wie war ich?"
Es ist nicht zu übersehen, dass alle führenden Behavioristen protestantische Weiße aus den USA waren. Wenn man zurückblickt, kann man sich fragen, ob es zwei verschiedene Disziplinen gab, die nichts miteinander zu tun hatten, eine mit US-amerikanischen und die andere mit jüdischen Psychologen. Die Amerikaner haben im weißen Kittel mit 'nem Notizblock durchs Labor gerannt und Ratten gequält, während die Juden sich in den Sumpf des menschlichen Verhaltens gewagt haben, selbst diejenigen, die Freud abgelehnt haben. Sie waren auf der Suche nach "Objektivität", nach 'ner Wahrheit, die wissenschaftlichen Ansprüchen standhält.
Auch er selbst war auf der Suche nach "Objektivität". Ihn hat vor allem die Gestaltpsychologie angezogen. Die Gestaltpsychologie wurde von deutschen Juden in Berlin entwickelt, um das menschliche Denken wissenschaftlich zu erforschen. Die Gestaltpsychologen haben interessante Phänomene des Denkens aufgedeckt. Grau sieht grün aus, wenn es von Lila umgeben ist, und gelb, wenn es von Blau umgeben ist. Wenn man zu jemandem sagt: "Tritt nicht auf die Bananenschabe!", dann denkt er, man sagt "Schale". Die Gestaltpsychologen waren der Meinung, dass es keine direkte Verbindung zwischen Reiz und innerem Empfinden gibt, weil das Denken auf seltsame Weise dazwischenfunkt. Ihn hat vor allem beeindruckt, dass man in ihren Aufsätzen selbst Experimente machen konnte und so die Geheimnisse des eigenen Denkens erfahren konnte.
Wenn wir nachts in den Himmel schauen, fassen wir bestimmte Sterne zu Gruppen zusammen und andere nicht. Das Sternbild Kassiopeia oder der Große Wagen sind Beispiele dafür. Über die Jahre haben die Menschen immer dieselben Sterne zu Gruppen zusammengefasst, sodass Kinder die Sternbilder leicht erkennen können. Abbildung 1 zeigt zwei Gruppen von Punkten.
Abbildung 1 (aus Wolfgang Kö