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Also, es geht heut' mal um... ja, wie soll ich sagen... Erzählung, Glauben und so die Grenzen von rationalen Entscheidungen in 'ner echt chaotischen Welt. Stell dir mal vor, da gibt's 'ne Kuh, die Melody. Geboren '96, kurz vor der Jahrtausendwende, in Israel, in so 'nem kleinen Dorf. Und die war, also wirklich von Kopf bis Fuß, feuerrot. 'Ne rote Kuh unter lauter schwarz-weißen. Klingt erstmal normal, ne? Aber diese Melody, die war ne tickende Zeitbombe. Echt gefährlich, hat man gesagt.
Weißt du, seit fast zweitausend Jahren träumen orthodoxe Juden davon, den Tempel in Jerusalem wiederaufzubauen, den Tempelberg, kennste ja. Und je nachdem, wie man's halt so sieht, soll das entweder mit dem Ende der Welt zusammenfallen, oder es halt erst einläuten, und dann kommt der Messias. Das Problem: Auf dem Tempelberg stehen halt auch der Felsendom und die Al-Aqsa Moschee, das drittwichtigste Heiligtum im Islam. Und manche meinen, der Tempel kann erst gebaut werden, wenn diese Moscheen weg sind. Und, naja, das wär natürlich 'ne Katastrophe, würde wahrscheinlich 'nen globalen Religionskrieg auslösen.
Und dann kommt noch was dazu: Bevor man da überhaupt irgendwas bauen kann, muss man sich rituell reinigen. Und dafür gibt's 'ne Anleitung in der Bibel, im Buch Numeri, und zwar braucht man dafür 'ne "rote Kuh ohne Fehler oder Makel, auf die noch kein Joch gelegt wurde". Also, die muss perfekt rot sein, und wenn die dann drei Jahre alt ist, wird die geschlachtet und verbrannt, und mit der Asche und Wasser kann man sich dann reinwaschen.
Und im Frühjahr '97, da ging das Gerücht um, dass da so 'ne komplett rote Kuh geboren wurde. In der ganzen jüdischen Geschichte gab's wohl nur neun von diesen "echten" roten Kühen. Und seit fast zweitausend Jahren hatte man keine mehr gefunden. Und dann kam Melody ins Spiel. Rabbiner sind da angerückt mit Lupen, um zu gucken, ob die wirklich rot genug ist, oder ob die so'n komisches Ocker hat. Und wenn man auch nur ein einziges schwarzes oder weißes Haar findet, dann ist die disqualifiziert. Fast, aber halt nicht ganz.
Aber dann, nach der Inspektion, hieß es: Melody ist 'ne echte rote Kuh! Wenn die bis zum dritten Geburtstag rot bleibt, dann kann's losgehen mit dem Tempelbau. Und ihr dritter Geburtstag? Das war 'n göttliches Zeichen, kurz vor dem neuen Jahrtausend!
Aber dann, anderthalb Jahre später, tauchte da so 'n kleiner weißer Fleck am Schwanz auf. Und im Buch Numeri steht halt nix von 'ner "fast" roten Kuh. Also, Melodys Hörner wurden entfernt. Der Traum war aus. Aber was wäre, wenn der Schwanz rot geblieben wäre? Wahrscheinlich hätte irgendwer versucht, die islamischen heiligen Stätten in die Luft zu sprengen, um den Tempelbau vorzubereiten. Und das hätte 'nen heiligen Krieg auslösen können. Wir haben das vielleicht echt nur wegen so 'nem kleinen Haar verhindert. Unglaublich, oder?
Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Diese Sache mit Melody hat so 'ne globale Bewegung von messianischen Juden und Christen ausgelöst, die jetzt rote Kühe züchten. Und 2022 hat das Tempel-Institut, die sich dem Tempelbau verschrieben haben, fünf rote Kühe aus Texas präsentiert, die "perfekt rot, ohne Makel und fast ein Jahr alt" sind. Und irgendwann werden die schon "die Eine" züchten. Und wenn das passiert, dann kann's echt sein, dass 'ne Kuh 'nen heiligen Krieg auslöst.
Und, das Ganze wird noch absurder, weil die ganze Geschichte mit der roten Kuh vielleicht auf 'ner Fehlübersetzung beruht! Manche Gelehrte meinen, dass man sich da bei 'ner alten Übersetzung vertan hat, und die suchen eigentlich 'ne gelbe oder 'ne braune Kuh suchen sollten.
So, aber was will ich eigentlich damit sagen? Wir Menschen, wir sind nicht so rational, wie wir immer denken. Wir handeln nach unseren Überzeugungen, nach dem "Warum". Und diese Überzeugungen werden ständig von Zufällen, von Kleinigkeiten beeinflusst. Aber wenn wir uns selbst untersuchen, dann ignorieren wir das irgendwie.
Die Rational Choice Theorie, die geht davon aus, dass wir alles ganz rational abwägen, Kosten und Nutzen, und so weiter. Aber das ist totaler Quatsch. Die Theorie besagt, dass wir alles mit 'nem klaren Ziel machen, aufgrund rationaler Bewertungen. Wir haben 'ne Strategie für alles, entscheiden mit perfekten Informationen, kennen alle Wege und wissen genau, was sie bringen. Aber, ehrlich, so ist doch keiner von uns.
Sogar die Leute, die diese Theorie aufstellen, verhalten sich nicht danach! Da gibt's die Geschichte von zwei Entscheidungstheoretikern. Der eine überlegt, ob er 'nen Job in Harvard annimmt, und der andere sagt: "Schreib doch mal auf, was es bringt, zu bleiben oder den Job anzunehmen, multiplizier das mit den Wahrscheinlichkeiten, und dann entscheide dich für das Höhere. Das rätst du doch auch immer!" Und der andere sagt nur: "Ach, komm, das ist doch jetzt ernst!"
Früher hat man oft gesagt, Menschen versuchen, finanziell das Maximum rauszuholen. Aber das stimmt doch nicht. Wir sind impulsiv, emotional, lassen uns von Glauben und Überzeugungen leiten. Wir handeln oft gegen unser eigenes Interesse.
Ich hab mal in Madagaskar total aufwendige Marmorgräber gesehen, für die Vorfahren der Merina. In 'nem Land, wo die Leute im Schnitt 500 Dollar im Jahr verdienen, kostet so ein Grab 7000 Dollar, also das Vierzehnfache des Jahreseinkommens. Aber in Madagaskar glauben die Leute an ein ewiges Leben im Grab, also macht das dann schon irgendwie Sinn.
Wir Menschen sind vieles, aber keine rationalen Optimierer. Und das ist auch gut so, weil sonst wär das Leben ja total öde. Wenn's solche Leute gibt, will ich die echt nicht auf 'ner Party treffen.
Deswegen gibt's auch so 'ne abgeschwächte Version von der Rational Choice Theorie, die "Bounded Rationality" nennt. Die geht davon aus, dass wir nicht perfekt sind, Fehler machen und Infos fehlen. Wir sind keine Optimierer, sondern "Satisficer", also wir suchen nicht das Optimale, sondern das, was gut genug ist. Und die Neurowissenschaft zeigt auch, dass nur ein kleiner Teil unserer Entscheidungen bewusst ist. Vieles läuft auf Autopilot. Und manche Entscheidungen werden sogar von den Bakterien in unserem Darm beeinflusst!
Viele Sozialwissenschaftler, die früher diese Theorie unkritisch angewendet haben, sehen die Grenzen jetzt klarer. Aber trotzdem basiert immer noch viel von dem, was wir machen, auf diesen Annahmen.
Und deswegen haben wir so 'nen blinden Fleck. Viele Intellektuelle ignorieren einfach alles, was über rationale Fakten hinausgeht, also Mystik zum Beispiel, obwohl das 'n Großteil unseres Verhaltens bestimmt. In einer Analyse von 'ner Top-Zeitschrift für Politikwissenschaft hat man geguckt, wie oft da Artikel über Religion drin sind. Einmal alle vier Jahre! Okay, nach dem 11. September haben die dann gemerkt, dass Religion vielleicht doch wichtig ist, aber viel besser wurde es dann auch nicht.
Die Wissenschaft ist oft weit weg davon, wie die meisten Menschen die Welt erleben. 84 Prozent der Weltbevölkerung gehören einer Religion an. Und in 'ner Umfrage in 34 Ländern haben zwei von drei Leuten gesagt, dass Gott in ihrem Leben wichtig ist. Und 'ne Studie von 2022 hat ergeben, dass fast 40 Prozent der Weltbevölkerung an Hexerei glaubt! Politik ohne Religion zu verstehen, ist wie Autofahren ohne Lenkrad. Aber viele Modelle ignorieren das einfach. In der echten Welt haben Emotionen, Intuition, Glaube einen großen Einfluss auf unsere Entscheidungen, aber wir tun so, als ob wir alle nur rationale Rechner wären.
Aber selbst wenn die Modelle besser wären, gäbe es immer noch ein Problem. Wie sollen wir verstehen, warum etwas passiert, wenn 'ne rote Kuh 'nen Weltkrieg auslösen kann? In einem System müssen sich alle an die Regeln halten. Wenn nur 99 Prozent der Planeten die Gesetze der Physik befolgen würden, dann wären unsere Berechnungen wertlos. Und die Rational Choice Theorie tut so, als ob es auch für Menschen so 'ne Art Naturgesetz gäbe. Aber wenn man akzeptiert, dass diese Regeln ständig gebrochen werden, dann bricht die ganze Vorstellung von 'ner geordneten Gesellschaft zusammen. Glauben schafft unberechenbare Zufälle.
Weil wir Menschen, im Gegensatz zu Molekülen oder Kometen, selbstbewusst sind und reflektieren. Unsere Gedanken werden von Wahrnehmungen, Erfahrungen und den Gedanken anderer beeinflusst, und das alles wird von Kultur, Normen, Institutionen und Religionen beeinflusst. Diese Komplexität gibt's halt bei 'ner Gasflasche nicht. Wir können versuchen, religiöse Gruppen zu modellieren und Trends zu verstehen. Wir können Algorithmen benutzen und Social-Media-Posts analysieren, um neue Ideologien zu erkennen. Aber Melody die Kuh zeigt, dass das alles begrenzt ist, weil 'ne kleine Gruppe von Gläubigen die Welt verändern kann. Und das gilt nicht nur für rote Kühe. Der 11. September hat alle Prognosen für das nächste Jahrzehnt in Minuten zunichte gemacht. Unsere Überzeugungen sind kein Nebenschauplatz. Die sind oft das Hauptereignis. Aber die werden am wenigsten untersucht, weil wir uns lieber einreden, dass wir rational handeln, und nicht von Geschichten und Glauben geleitet werden.
Unsere Überzeugungen werden am leichtesten von Geschichten beeinflusst. Wir haben über Generationen hinweg Weisheit gesammelt, um die Welt zu verstehen. Aber wie können wir diese Weisheit weitergeben? Der Neurowissenschaftler Antonio Damasio hat gesagt: "Das Problem, wie man diese Weisheit verständlich, übertragbar, überzeugend und durchsetzbar macht – wie man sie halt ins Gedächtnis bekommt – wurde gelöst. Und die Lösung war das Geschichtenerzählen."
Unser Gehirn ist so auf Geschichten geeicht, dass wir die Punkte zu 'ner Geschichte verbinden, auch wenn die gar nicht verbunden sind. Das nennt man "Narrative Bias". Wenn wir 'n bisschen Info bekommen, dann füllt unser Gehirn die Lücken auf. Da gibt's so 'ne bengalische Geschichte in sechs Worten: "Ein Tiger. Ein Jäger. Ein Tiger." Und unser Gehirn macht daraus 'ne Geschichte. Wir sehen die Szene vor uns, den Spannungsbogen, alles. Die Bilder sind bei jedem anders, aber die Geschichte ist ähnlich. Kaum einer denkt, dass der Jäger weggelaufen ist, oder dass noch 'n zweiter Tiger kam. Wer sagt überhaupt, dass die sechs Wörter zusammengehören? Aber wir verbinden die trotzdem. Automatisch. Wir können gar nicht anders.
Das können Schriftsteller ausnutzen. Ernest Hemingway soll mal gewettet haben, dass er 'ne ganze Geschichte in sechs Wörter packen kann. Und er hat gewonnen: "Zu verkaufen: Babyschuhe, nie getragen."
Wir "träumen in Geschichten, tagträumen in Geschichten, erinnern uns, hoffen, verzweifeln, glauben, zweifeln, planen, überarbeiten, kritisieren, konstruieren, tratschen, lernen, hassen und leben durch Geschichten". In den letzten Jahrzehnten hat unser Drang, alles in Geschichten zu verwandeln, 'ne riesige wissenschaftliche Literatur hervorgebracht. Und die Studien haben gezeigt, dass wir Infos viel besser behalten, wenn sie uns als Geschichte präsentiert werden. Wir sind halt, um's nochmal zu sagen, Geschichtenerzähler. "Der geschichtenerzählende Geist ist allergisch gegen Unsicherheit, Zufall und Koinzidenz", schreibt Jonathan Gottschall. "Er ist süchtig nach Bedeutung."
Und das Krasse ist: Narrative Bias ist ursächlich. Geschichten bringen uns zum Handeln. Und manchmal entscheiden Geschichten über Leben und Tod.
Am 26. Dezember 2004 hat die Erde unter dem Meer gebebt, vor der Küste von Sumatra. Riesige Wellen sind mit 800 km/h losgerast. Es gab kein Frühwarnsystem, keine Sirenen. Und obwohl der Tsunami Stunden gebraucht hat, um über den Ozean zu kommen, haben Hunderttausende erst gemerkt, was los ist, als es zu spät war. Ungefähr 228.000 Menschen sind gestorben.
Aber eine Gruppe ist nicht gestorben: die Moken. Die Moken lernen schwimmen, bevor sie laufen. Die leben viel auf ihren Holzbooten und kennen die Natur genau. An dem Morgen, auf den Andamaneninseln, haben die Moken einen Alarm gehört, den nur sie hören konnten: Stille. Das Zirpen der Zikaden, das sonst die Luft erfüllt, hat plötzlich aufgehört. Und dann hat sich das Meer zurückgezogen. Die Moken wussten, was zu tun ist.
Seit Generationen erzählen sich die Moken die Geschichte von "Laboon", der "Welle, die Menschen frisst". Die soll von den Geistern im Ozean kommen, und die Geschichte warnt, dass die Zikaden verstummen, wenn der Tsunami kommt. Die Moken sind ins höher gelegene Gebiet geflüchtet. Ihre Siedlungen wurden zerstört. Aber keiner von den Moken ist gestorben.
Diese Geschichte zeigt, wie stark Geschichten Ereignisse beeinflussen können. Oft tun wir so, als ob Geschichten nichts mit der Realität zu tun haben. Wir tun so, als ob es 'ne objektive Realität gibt, datengesteuert und steril, die bestimmt, wie die Welt funktioniert. Die Wirtschaft läuft mit Zahlen, nicht mit Geschichten, hat man uns in der Schule erzählt. Aber das stimmt nicht. Die Wirtschaft wird von Menschen gemacht – und Menschen orientieren sich an Geschichten. Aber in vielen Theorien wird der Mensch zum rationalen Tier gemacht. Und das verstärkt das Problem, weil wir die Realität automatisch durch unsere Geschichten filtern, und die Modelle, die wir benutzen, vereinfachen das Ganze dann noch weiter. Und da ist kein Platz für Zufall, Unvorhergesehenes oder Chaos.
Bis vor Kurzem hätte man ausgelacht, wenn man gesagt hätte, man könnte die Wirtschaft anhand von Geschichten analysieren. Aber jetzt sehen das viele anders, auch Nobelpreisträger wie Robert Shiller.
"Wenn wir die Epidemien von populären Erzählungen nicht verstehen, dann verstehen wir auch die Veränderungen in der Wirtschaft und im wirtschaftlichen Verhalten nicht vollständig", hat Shiller geschrieben. Das klingt jetzt vielleicht selbstverständlich, aber "Narrative Economics" war bis vor Kurzem 'ne Randerscheinung. Versuch mal, auf CNBC oder Bloomberg über virale Geschichten zu reden, die 'ne Rezession vorhersagen. Aber oft stimmt das halt, weil das selbsterfüllende Prophezeiungen sein können. Wenn die Leute von 'ner Rezession hören, dann geben sie weniger aus, wie Eichhörnchen, die sich auf den Winter vorbereiten. Unternehmen, die investieren wollten, halten sich zurück, weil sie denken, es kommt der Winter. Die Geschichte von 'nem möglichen Ereignis kann dazu führen, dass es passiert. Es gibt keine separate, objektive Marktwirtschaft, die von Geschichten getrennt ist, weil der Markt die Summe von Milliarden von Geschichtenerzählern ist. Wenn Geschichten uns antreiben, dann treiben Geschichten alles an, was wir anfassen, also Politik, Wirtschaft, unser Leben, alles.
Das Problem ist, dass das Messen von Geschichten sie verändert. Wenn man 'n Thermometer draußen hinhängt, dann macht das Wetter nicht wärmer oder kälter. Aber wenn man die Leute nach ihrem Vertrauen in die Wirtschaft fragt und das dann veröffentlicht, dann beeinflusst das das Vertrauen. Bei Menschen verändert das Messen und Berichten das, was man misst und berichtet.
Und nicht nur die Wirtschaft wird von Geschichten beeinflusst. Shiller erwähnt "Onkel Toms Hütte", das 1852 erschienen ist und die Grausamkeit der Sklaverei gezeigt hat. Das hat 'ne Rolle beim Aufstieg von Lincolns Anti-Sklaverei-Partei gespielt und die Ereignisse beeinflusst, als das Land auf den Bürgerkrieg zusteuerte. Unsere subjektiven Überzeugungen treiben Veränderungen voran, was die Welt noch unberechenbarer macht.
Aber das Überraschendste ist vielleicht, dass 'ne Wissenschaft des Geschichtenerzählens möglich ist. Unsere Geschichten folgen fast immer bestimmten Mustern, was die Vermutung nahelegt, dass unsere mentalen Prozesse sich so entwickelt haben, dass sie bestimmte Vorlagen nutzen, um Veränderungen zu verstehen. Kurt Vonnegut, einer der größten Autoren aller Zeiten, hat gezeigt, dass man die meisten Geschichten grafisch darstellen kann. Auf der vertikalen Achse steht, ob gute oder schlechte Dinge passieren, und auf der horizontalen Achse die Zeit. Die Idee kam ihm, als er Ähnlichkeiten zwischen der Geschichte von Aschenputtel und dem Neuen Testament bemerkte. In 'ner anderen Geschichte, die er "Mann im Loch" nannte, gerät 'ne Person in Schwierigkeiten, kommt aber wieder raus und beendet die Geschichte glücklich. Der Zauberer von Oz ist so 'ne Geschichte, und fast jede Sitcom. Wenn man Pech hat, befindet man sich in 'ner Geschichte, die Vonnegut "Von schlecht zu schlechter" nennt, in der die Hauptfigur ein Unglück nach dem anderen erlebt. (Möge dir das nie passieren, wie in Kafkas Verwandlung.)
Die Realität hat keinen Spannungsbogen. Aber wir zwängen sie trotzdem in diese Form, weil unser geschichtenerzählendes Gehirn unsere Sicht auf die Welt verzerrt. Jonathan Gottschall schreibt, dass diese Konventionen uns den falschen Eindruck von 'ner Welt geben, die nie von Unfällen oder Zufällen bestimmt wird. Wir haben Erwartungen, wie Geschichten enden, und wenn Geschichten diese Erwartungen verletzen, dann floppen sie. Eine Studie hat sogar herausgefunden, dass höhere Einschaltquoten mit Sendungen zusammenhängen, die moralische Gerechtigkeit zeigen – in denen die guten Charaktere am Ende triumphieren, so wie es sein sollte. Ab und zu mögen wir Geschichten, in denen das Böse triumphiert (Game of Thrones und Breaking Bad sind Ausnahmen). Aber was wir fast nie mögen, sind Geschichten, die durch Zufall enden. Gottschall sagt, dass "Harry Potter Voldemort nicht besiegen wird, weil der über 'ne Bananenschale stolpert und sich den Kopf bricht."
Verschwörungstheorien werden durch Narrative Bias auf Steroiden angetrieben. Gottschall erklärt, dass Verschwörungstheorien eine verwirrende Reihe von scheinbar unzusammenhängenden Datenpunkten nehmen und sie in 'ne zusammenhängende Geschichte packen. Das ist normalerweise 'ne verdammt gute Geschichte – mit Vertuschungen und geheimen Verschwörungen, die von Bösewichten inszeniert werden, die hoffen, dass du – der ahnungslose Trottel – die Wahrheit nicht entdeckst. Faktenchecker haben 'ne unmögliche Aufgabe. Sie müssen dir – dem Geschichtenerzähler – sagen, dass es keine Geschichte gibt. Das ist 'n Kampf, der schon verloren ist. Die Evolution hat den Gewinner bestimmt. Wenn wir zwischen 'ner guten Geschichte und gar keiner wählen müssen, dann holen wir das Popcorn und lassen uns von 'ner versteckten Verschwörung faszinieren.
Jeder von uns folgt anderen Geschichten und bezieht ständig neue Infos ein. Das bedeutet, dass acht Milliarden Menschen Entscheidungen auf der Grundlage von acht Milliarden verschiedenen Vorstellungen treffen. Und wenn wir alle interagieren, sind seltsame, unvorhersehbare Effekte unvermeidlich.
Du kennst das bestimmt auch, wenn du dich an Weihnachten mit deinem verrückten Onkel unterhältst, oder wenn jemand sich immer wieder selbst schadet. Du bist auch irrational. Du lässt dich von Geschichten verführen. Ich auch. So sind wir halt.
Und das ist auch gut so. Wir könnten in 'ner Welt leben, in der einheitliche Überzeugungen für Regelmäßigkeit sorgen würden, was manche Wirtschaftswissenschaftler vielleicht toll finden würden. Aber zum Glück müssen wir das nicht ertragen. Ich hoffe zwar, dass die Asche von 'ner Nachfolgerin von Melody – der fast roten Kuh – nie benutzt wird, um 'nen Religionskrieg auszulösen, aber ich bin froh, dass ich in 'ner Welt lebe, in der sich Gesellschaften verändern und die Geschichte durch die Geschichten unserer Vorfahren, dadurch, dass wir Geschichtenerzähler sind, und sogar, Gott bewahre, durch 'ne rote Kuh verändert werden kann.
Also, das wär's erstmal.