Chapter Content
Okay, los geht's. Kapitel 43, Kapital und Vermögen... boah, ein Thema für sich. Wisst ihr, es gibt da dieses Zitat, angeblich von Karl Marx' Mutter, Henriette Pressburg, so in einem Brief an Engels, irgendwann... naja, egal wann genau. Jedenfalls soll sie gesagt haben: "Wenn Karl doch Kapital gemacht hätte, anstatt nur darüber zu schreiben!" Irgendwie trifft das den Nagel auf den Kopf, oder?
Der Begriff "Kapital," den benutzen wir heute ja alle, ständig. Egal ob in der Kneipe oder in irgendwelchen Fachbüchern. Aber was bedeutet er denn eigentlich? Es ist ja nicht so einfach, ne? Einerseits ist Kapital ein Produktionsfaktor. Firmen brauchen Fabriken, Büros, Maschinen, Lagerbestände. Aber "Kapital" ist auch ein Maß für persönlichen oder institutionellen Reichtum. Das Kapital einer Firma, das Stiftungskapital einer Uni... all sowas. Diese vielen Bedeutungen, das kommt daher, dass früher persönlicher Reichtum und Produktionsmittel quasi dasselbe waren. Aber das ist halt vorbei. Die Verbindung von Reichtum, produktivem Kapital und Kontrolle, die typisch für die meisten Unternehmen der industriellen Revolution war, die gibt es so nicht mehr.
Man muss jetzt unterscheiden zwischen Kapital als Produktionsfaktor und Kapital als Maß für persönlichen Reichtum. Und beides hat wenig mit der Kontrolle über moderne Unternehmen zu tun. Die liegt meistens in den Händen von professionellen Managern. Die kriegen ihre Macht und ihren Einfluss nicht, weil sie die Produktionsmittel besitzen, oder weil sie reich sind. Sondern wegen ihrer Rolle in der Organisation. Klar, viele Top-Manager sind steinreich, aber ihr Einfluss kommt nicht von ihrem Reichtum. Eher umgekehrt: Ihr Reichtum kommt von ihrer Rolle in der Firma. Die Kausalkette ist also umgekehrt. Nicht Reichtum führt zu Kontrolle, sondern Kontrolle führt zu Reichtum. Das gilt für Gründer wie Jeff Bezos oder Elon Musk, deren Vermögen ja hauptsächlich auf dem Wert ihrer Aktien basiert. Und auch für Angestellte – Manager, die durch fette Gehaltspakete reich werden.
Ja, und dann kommt noch Thomas Piketty ins Spiel. In seinem Buch "Das Kapital im 21. Jahrhundert" räumt er zwar ein, dass "Kapital" verschiedene Bedeutungen hat. Aber dann sagt er, Zitat: "Um den Text zu vereinfachen, verwende ich die Wörter 'Kapital' und 'Vermögen' synonym, als wären sie vollkommen gleichbedeutend." Ähm, ja. Piketty meint wohl, das Problem ist vor allem die Unterscheidung zwischen von Menschen geschaffenem Reichtum – Gebäude, Maschinen, Infrastruktur – und Land und natürlichen Ressourcen.
Aber diese Unterscheidung ist jetzt nicht so super wichtig, um moderne Unternehmen zu verstehen. Und sie kann sogar irreführend sein, wenn es um die Rolle von Land geht. Die Kosten und der Wert eines Büros in London, zum Beispiel, die spiegeln ja beides wider: Die Kosten für das Gebäude *und* die Kosten für das Grundstück. Aber Land in Mayfair ist halt wertvoller als ein Feld in Schottland, weil Menschen da was aufgebaut haben, nicht wegen der Natur. Land und Standort sind Produktionsfaktoren, klar. Aber der Wert von Land kommt heute vor allem von seinem Standort, nicht von seiner Fruchtbarkeit.
Also, trotz der historischen Verbindung sind Kapital und Vermögen heute nicht dasselbe. Man kann die Begriffe nicht einfach austauschen, ohne Verwirrung zu stiften. Wir profitieren heute von Investitionen in Autobahnen und Brücken. Wir schätzen die Investitionen in Eisenbahnen und die U-Bahnen unter unseren Füßen. Aber diese Infrastruktur – ohne die unser Leben eingeschränkt wäre und moderne Unternehmen nicht funktionieren könnten – ist nicht Teil des persönlichen Vermögens von irgendwelchen Einzelpersonen. Umgekehrt sind Staatsverschuldung und Bankeinlagen wichtige Bestandteile des persönlichen und institutionellen Vermögens, aber keine Produktionsfaktoren. Und der Wert von Aktien von Amazon oder Apple entspricht nicht den Kosten oder dem Wert irgendwelcher konkreten Produktionsmittel. Die Bewertungen spiegeln Ansprüche auf zukünftige Einnahmen wider. Das meiste Vermögen der Leute auf den "Reichenlisten" besteht aus solchen Finanzanlagen. Und die Lagerhallen, Rechenzentren und Montagelinien, die Amazon und Apple brauchen, die sind viel weniger wert als Amazon und Apple als börsennotierte Unternehmen.
Und jetzt kommt's: Piketty vergleicht in seiner berühmten Ungleichung r > g "r," das sich auf Kapital als Vermögen bezieht, mit "g," das sich auf Kapital als Produktionsfaktor bezieht. Das kann man eigentlich nicht machen, weil das Äpfel mit Birnen sind, quasi.
Piketty definiert "nationales Vermögen" als den Marktwert von allem, was den Einwohnern und dem Staat eines Landes gehört, vorausgesetzt, es kann auf irgendeinem Markt gehandelt werden. Klar, die Mona Lisa und der Central Park könnten auf irgendeinem Markt gehandelt werden. Aber weil das nicht passiert, ist es schwer zu sehen, welchen Bezug eine Berechnung ihres Marktwertes zu irgendeinem wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Problem haben sollte. Schulen und Universitäten wären ein wichtiger Teil des nationalen Kapitals und des nationalen Vermögens, aber sie haben keinen feststellbaren Marktwert.
Wenn man den Wert von Kapital als Produktionsfaktor messen will – also *nicht* als Vermögen – dann nimmt man normalerweise die Ausgaben, die für seine Schaffung getätigt wurden. Diese Schätzungen werden von Statistikämtern mithilfe einer Methode namens "Perpetual Inventory" erstellt. Die Statistiker erfassen die jährlichen Investitionen in jeder Kategorie und addieren sie zu ihrer Schätzung des nationalen Kapitals des Vorjahres.
Dann wird noch die Abschreibung berücksichtigt. Das heißt, der Wertverlust durch Verschleiß und Veralterung. In der Praxis ist das natürlich nur eine sehr grobe Schätzung.
Diese Methode ähnelt der historischen Kostenrechnung, die traditionell die Grundlage der Unternehmensberichterstattung war. Aber oft interessiert uns mehr der aktuelle Nutzen von Kapitalgütern als ihre historischen Kosten. Die Eisenbahnlinie nach Bristol hat vor fast 200 Jahren 6,5 Millionen Pfund gekostet. Aber selbst wenn wir die Abschreibung über diesen Zeitraum schätzen und die Zahl mit einem Baupreisindex auf den heutigen Wert bringen, ist es schwer vorstellbar, dass diese Zahl für irgendeine aktuelle Frage relevant wäre.
Moderne Rechnungslegungsstandards haben sich eher in Richtung "Fair Value" entwickelt. Aber was bedeutet "fair" in diesem Zusammenhang? Europäische Standards bevorzugen Marktwerte, wenn es solche Märkte gibt. Amerikanische Rechnungsleger sind konservativer und unterstützen Abwertungen, aber keine Aufwertungen.
Überall ist Wohnraum der größte Bestandteil. Im Durchschnitt macht die Hälfte des Wertes der physischen Vermögenswerte einer modernen Volkswirtschaft Wohnimmobilien aus. Früher haben die Fabrikbesitzer Häuser für ihre Arbeiter gebaut.
Das hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts geändert. Durch Finanzinnovationen wurde es möglich, dass auch Leute mit wenig Geld ihre eigenen Häuser kaufen konnten. In vielen Ländern sind fast zwei Drittel der Wohnimmobilien selbst bewohnt.
Ein Großteil der Infrastruktur, wie Straßen und Abwasserkanäle, ist in staatlichem Besitz. Gewerbeimmobilien umfassen Geschäfte, Büros, Lagerhäuser und so weiter. Der letzte Bestandteil des nationalen Kapitals sind die Anlagen und Maschinen, die von Unternehmen betrieben werden. Sowohl Unternehmensimmobilien als auch -ausrüstung sind heute größtenteils im Besitz von spezialisierten Kapitaldienstleistern.
Wer sind die Leute, die das alles besitzen? Da gibt's riesige Firmen, die wir wahrscheinlich nie gehört haben. Und selbst die Chefs von großen Firmen wissen oft nicht, wer die Lagerhalle, in der sie arbeiten, besitzt. Weil es einfach nicht wichtig ist. Sie arbeiten für die Organisation, mit ihrer kollektiven Intelligenz und Managementstruktur.
Der größte Teil der Flugzeugflotte von AerCap, zum Beispiel, wird durch Schulden finanziert, die hauptsächlich von großen Banken bereitgestellt werden. Der Rest ist Eigenkapital, das hauptsächlich von Vermögensverwaltern im Auftrag von Institutionen wie Pensionsfonds gehalten wird. Wenn die politische und wirtschaftliche Macht in modernen Volkswirtschaften noch bei den Besitzern von Unternehmenswerten liegen würde, dann wäre sie dort zu finden. Aber das ist ja offensichtlich nicht der Fall.
Vor hundert Jahren wären die Revolutionäre vielleicht zur Fabrik von Ford gezogen. Aber heutzutage? Wenn die heutigen Revolutionäre nach Cupertino oder Seattle ziehen würden, um Apple oder Amazon zu stürmen, würden sie feststellen, dass die Produktionsmittel moderner Unternehmen schwer zu fassen sind. Tja... so ist das halt.